Der Birnbaum auf dem Walserfeld von Adelbert von Chamisso

Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht
Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht;
Wir werden unsern Kindern vererben sie aufs neu;
Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.
 
Das Walserfeld bei Salzburg, bezeichnet ist der Ort,
Dort steht ein alter Birnbaum verstümmelt und verdorrt,
Das ist die rechte Stätte, der Birnbaum ist das Mal,
Geschlagen und gewürget wird dort zum letzten Mal.
 
Und ist die Zeit gekommen und ist das Maß erst voll,
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Ich sage gleich das Zeichen, woran man's kennen soll,
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So wogt aus allen Enden der sündenhaften Welt
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Der Krieg mit seinen Schrecken heran zum Walserfeld.
 
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Dort wird es ausgefochten, dort wird ein Blutbad sein,
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Wie keinem noch die Sonne verliehen ihren Schein,
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Da rinnen rote Ströme die Wiesenrain' entlang,
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Da wird der Sieg den Guten, den Bösen Untergang.
 
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Und wann das Werk vollendet, so deckt die Nacht es zu,
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Die müden Streiter legen auf Leichen sich zur Ruh,
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Und wann der junge Morgen bescheint das Blutgefild,
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Da wird am Birnbaum hangen ein blanker Wappenschild.
 
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Nun sag ich euch das Zeichen: ihr wißt den Birnbaum dort,
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Er trauert nun entehret, verstümmelt und verdorrt;
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Schon dreimal abgehauen, schlug dreimal auch zuvor
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Er schon aus seiner Wurzel zum stolzen Baum empor.
 
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Wann nun sein Stamm, der alte, zu treiben neu beginnt,
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Und Saft im morschen Holze aufs neu lebendig rinnt;
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Und wann den grünen Laubschmuck er wieder angetan,
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Das ist das erste Zeichen: es reift die Zeit heran.
 
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Und hat er seine Krone erneuet dicht und breit,
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So rückt heran bedrohlich die lang verheißne Zeit;
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Und schmückt er sich mit Blüten, so ist das Ende nah;
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Und trägt er reife Früchte, so ist die Stunde da.
 
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Der heuer ist gegangen zum Baum und ihn befragt,
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Hat wundersame Kunde betroffen ausgesagt;
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Ihn wollte schier bedünken, als rege sich der Saft
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Und schwöllen schon die Knospen mit jugendlicher Kraft.
 
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Ob voll das Maß der Sünde? ob reifet ihre Saat
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Der Sichel schon entgegen? ob die Erfüllung naht?
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Ich will es nicht berufen, doch dünkt mich eins wohl klar:
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Es sind die Zeiten heuer gar ernst und sonderbar.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.6 KB)

Details zum Gedicht „Der Birnbaum auf dem Walserfeld“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
351
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Der Birnbaum auf dem Walserfeld“ ist Adelbert von Chamisso. Der Autor Adelbert von Chamisso wurde 1781 geboren. In der Zeit von 1797 bis 1838 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Der Schriftsteller Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Auch die Gebiete Geschichte, Philosophie und Theologie sowie Medizin und Naturwissenschaften waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Lyriker der Romantik in Auflösung begriffen. In der Literatur der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Missstände dieser Zeit bleiben außen vor und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Des Weiteren sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die Grundthemen waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde materialisiert. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unbegrenzt. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 351 Worte. Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Mädchen“, „Der Spielmann“ und „Helft mir, ihr Schwestern“. Zum Autor des Gedichtes „Der Birnbaum auf dem Walserfeld“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 146 Gedichte vor.

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