Der alte Müller von Adelbert von Chamisso

Es wütet der Sturm mit entsetzlicher Macht,
Die Windmühl schwankt, das Gebälk erkracht.
Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
Der Meister ist nicht, der alte, zur Hand,
Er steht an der Felswand schwindlichem Rand.
Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
Da steht er allein, mit dem Winde vertraut,
Und spricht mit den Lüften vernehmlich und laut.
Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Er schüttelt im Sturme sein weißes Haar,
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Und was er da spricht, klingt sonderbar.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Willkommen, willkommen, großmächtiger Wind!
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Was bringst du mir Neues, verkünd es geschwind.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Du hast mich gewiegt, du hast mich genährt,
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Du hast mich geliebt, du hast mich gelehrt.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Du hast mir die Worte wohl hinterbracht,
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Die Worte der Weisheit, von Toren verlacht.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Ihr Toren, ihr Toren, die faßtet ihr nicht,
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Die faßte der Wind auf, der gab mir Bericht.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Das Wort wird Tat, das Kind wird Mann,
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Der Wind wird Sturm, wer zweifelt daran?
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Willkommen, willkommen, großmächtiger Wind!
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Und was du auch bringest, vollend es geschwind.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Das Maß ist voll, die Zeit ist aus;
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Jetzt kommt das Gericht in Zerstörung und Graus.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Ein Wirbelwind faßt den Alten zumal
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Und schleudert zerschmettert ihn tief in das Tal.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
 
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Zerschellt ist der Mühle zerbrechlicher Bau,
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Und Wogen von Sand bedecken die Au.
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Hilf, Himmel, erbarme dich unser!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Der alte Müller“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
252
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der alte Müller“ wurde von Adelbert von Chamisso verfasst, einem deutschen Dichter und Naturforscher, der im Zeitraum von 1781 bis 1838 lebte. Dies ordnet das Gedicht in die Epoche der Spätromantik ein, einer literarischen Zeit, die stark durch die Auseinandersetzung mit Naturgewalten, inneren und äußeren Kämpfen und der Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens geprägt ist.

Das Gedicht zieht den Leser durch seine dramatische Atmosphäre und den konstanten Aufruf zur erbarmenden göttlichen Hilfe in den Bann. Es beschreibt das Szenario eines alten Müllers und seiner Windmühle während eines verheerenden Sturms. Das lyrische Ich scheint dabei den alten Müller und den Sturm beobachten und kommentieren.

In einfacheren Worten ausgedrückt, erzählt das Gedicht von einem alten Müller, der trotz des wilden Sturmes und der Gefahr, die für seine Mühle besteht, an einer Felswand steht und scheinbar mit dem Wind spricht. Er führt eine Art Dialog mit dem Sturm, den er als seinen Erzieher und Lehrer bezeichnet, der ihm Worte der Weisheit vermittelt hat. Der Müller prophezeit das nahende Ende, welches mit Zerstörung und Graus verbunden ist, und wird schließlich vom Sturm erfasst und in ein Tal geworfen. Die Mühle zerbricht und wird von Sand bedeckt.

Das Gedicht setzt sich aus dreizehn Strophen zusammen, wobei jede Strophe aus drei Versen besteht. Jede Strophe endet mit der flehentlichen Bitte „Hilf, Himmel, erbarme dich unser!“, was das wiederkehrende Motiv und den zentralen Aufruf des Gedichts bildet. Die Sprache ist deutlich und klar, dennoch mit einer starken emotionalen und dramatischen Beladung, die durch die Repetition der Hilferufe und die eindringlichen Beschreibungen des Sturms und seiner Auswirkungen verstärkt wird.

Die Verwendung von direkter Rede, wenn der alte Müller mit dem Wind spricht, unterstreicht die anthropomorphisierende Darstellung des Windes als eine Art Lehrer und Nachrichtenbringer, der dem Müller Weisheit verleiht. Gleichzeitig betrachtet der Müller den Wind als Auslöser der unausweichlichen Vergänglichkeit, was in der ironischen Begrüßung des „großmächtigen Windes“ zum Ausdruck kommt.

Kurzum, „Der alte Müller“ von Adelbert von Chamisso ist ein eindrückliches Beispiel für die romantische Auseinandersetzung mit den Gewalten der Natur, der Vergänglichkeit und der menschlichen Hilflosigkeit in Anbetracht dieser übermächtigen Kräfte. Es reflektiert ein tiefes Verständnis von der Unberechenbarkeit des Lebens und der unvermeidlichen Konsequenz des Todes, repräsentiert durch den Zerfall der Mühle und den Tod des alten Müllers.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der alte Müller“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Adelbert von Chamisso. 1781 wurde Chamisso geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Chamisso handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Aber auch die Gebiete Geschichte, Philosophie und Theologie sowie Naturwissenschaften und Medizin waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Romantik kann in drei Phasen aufgegliedert werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die damalige Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Schriftstellern der Romantik zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Als Merkmale der Romantik sind die Weltflucht, die Verklärung des Mittelalters, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen zu benennen. Bedeutende Symbole der Romantik sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das Gedicht besteht aus 39 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 252 Worte. Die Gedichte „Die Löwenbraut“, „Zweites Lied von der alten Waschfrau“ und „Die alte Waschfrau“ sind weitere Werke des Autors Adelbert von Chamisso. Zum Autor des Gedichtes „Der alte Müller“ haben wir auf abi-pur.de weitere 146 Gedichte veröffentlicht.

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