Das Dampfroß von Adelbert von Chamisso

Schnell! schnell, mein Schmidt! mit des Rosses Beschlag!
Derweil du zauderst, verstreicht der Tag. –
„Wie dampfet dein ungeheures Pferd!
Wo eilst du so hin, mein Ritter werth?“ –
 
Schnell! schnell, mein Schmidt! Wer die Erde umkreist
Von Ost in West, wie die Schule beweist,
Der kommt, das hat er von seiner Müh’,
Ans Ziel um einen Tag zu früh.
 
Mein Dampfroß, Muster der Schnelligkeit,
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Läßt hinter sich die laufende Zeit,
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Und nimmt’s zur Stunde nach Westen den Lauf,
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Kommt’s gestern von Osten schon wieder herauf.
 
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Ich habe der Zeit ihr Geheimniß geraubt,
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Von gestern zu gestern zurück sie geschraubt,
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Und schraube zurück sie von Tag zu Tag,
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Wie einst ich zu Adam gelangen mag.
 
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Ich habe die Mutter, sonderbar!
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In der Stunde besucht, da sie mich gebar,
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Ich selber stand der Kreißenden bei,
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Und habe vernommen mein erstes Geschrei.
 
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Viel tausend Mal, der Sonne voran,
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Vollbracht’ ich im Fluge noch meine Bahn,
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Bis heut’ ich hier zu besuchen kam
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Großvater als glücklichen Bräutigam.
 
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Großmutter ist die lieblichste Braut,
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Die je mit Augen ich noch erschaut;
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Er aber, grämlich, zu eifern geneigt,
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Hat ohne Weit’res die Thür mir gezeigt.
 
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Schnell! schnell, mein Schmidt! mich ekelt schier,
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Die jetzt verläuft, die Zeit von Papier;
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Zurück hindurch! es verlangt mich schon
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Zu sehen den Kaiser Napoleon.
 
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Ich sprech’ ihn zuerst auf Helena,
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Den Gruß der Nachwelt bring’ ich ihm da;
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Dann sprech’ ich ihn früher beim Krönungsfest,
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Und warn’ ihn, – o hielt’ er die Warnung fest!
 
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Bist fertig, mein Schmidt? nimm deinen Sold,
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Ein Tausend Neunhundert geprägtes Gold.
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Zu Roß! Hurrah! nach Westen gejagt,
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Hier wieder vorüber, wann gestern es tagt! –
 
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„Mein Ritter, mein Ritter, du kommst daher,
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Wohin wir gehen, erzähle noch mehr;
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Du weißt, o sag’ es, ob fällt, ob steigt
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Der Cours, der jetzt so schwankend sich zeigt?
 
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„Ein Wort, ein Wort nur im Vertrau’n!
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Ist’s weis’ auf Rothschild Häuser zu bau’n?“ –
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Schon hatte der Reiter die Feder gedrückt,
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Das Dampfroß fern ihn den Augen entrückt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Das Dampfroß“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
331
Entstehungsjahr
1837
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Adelbert von Chamisso geschrieben, einem Dichter der deutschen Romantik, der von 1781 bis 1838 lebte. Es trägt den Titel „Das Dampfroß“. Es handelt sich bei dem Gedicht um eine spielerische Phantasie des Dichters, in der er die Macht der Dampftechnologie (repräsentiert durch das „Dampfroß“ oder die Dampflok) als Mittel zur Zeitreise sieht.

Das lyrische Ich fordert zuerst einen Schmied auf, sein Pferd für die bevorstehende Reise zu beschlagen. Das Pferd wird im Gedicht jedoch als eine Art Dampfmaschine dargestellt. Es wird betont, dass diese Dampfmaschine in der Lage ist, so schnell zu reisen, dass sie die Zeit überwindet und das lyrische Ich in die Vergangenheit reisen lässt.

Im Verlauf des Gedichts reist das lyrische Ich in verschiedene Zeiten und Epochen. Es besucht seine Mutter in der Stunde seiner Geburt, trifft seinen Großvater als jungen Bräutigam und reist sogar bis zur Zeit Napoleons. Diese Reisen sind jedoch nicht immer angenehm oder willkommen. Besonders die Begegnung mit dem Großvater endet unfreundlich, als dieser das lyrische Ich aus seinem Haus verweist.

Form und Stil des Gedichts sind klassisch und rhythmisch, typisch für die Poesie der Romantik. Jede Strophe besteht aus vier Versen, mit einem Paarreim in jedem Paar von Versen (ABAB). Der Stil ist flüssig und dynamisch, was die atemlose Eile und Geschwindigkeit der Reise widerspiegelt. In der sprachlichen Gestaltung wird die Macht der Technologie hervorgehoben, aber auch ihre etwas entfremdende und störende Wirkung auf die menschlichen Beziehungen und die Geschichte.

Insgesamt verbindet das Gedicht technologischen Fortschritt und Romantik auf eine einzigartige Weise, indem es die Fähigkeit der Technologie hervorhebt, die menschliche Erfahrung von Zeit und Raum zu verändern.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Das Dampfroß“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Adelbert von Chamisso. Der Autor Adelbert von Chamisso wurde 1781 geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1837. Erschienen ist der Text in Weidmannsche Buchhandlung, Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Bei Chamisso handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Epoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von bedeutenden Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Weitere Motive sind das Fernweh, das Nachtmotiv oder die Todessehnsucht. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Quelle der Liebe. Typische Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Romantikern wieder geschätzt. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das vorliegende Gedicht umfasst 331 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Der Dichter Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Der alte Müller“, „Die Sonne bringt es an den Tag“ und „Der Soldat“. Zum Autor des Gedichtes „Das Dampfroß“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 146 Gedichte vor.

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