Die alte Waschfrau von Adelbert von Chamisso

Du siehst geschäftig bei dem Linnen
die Alte dort in weißem Haar,
die rüstigste der Wäscherinnen
im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit sauerm Schweiß
ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen
und ausgefüllt mit treuem Fleiß
den Kreis, den Gott ihr zugemessen.
 
Sie hat in ihren jungen Tagen
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geliebt, gehofft und sich vermählt;
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sie hat des Weibes Los getragen,
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die Sorgen haben nicht gefehlt;
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sie hat den kranken Mann gepflegt,
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sie hat drei Kinder ihm geboren;
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sie hat ihn in das Grab gelegt
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und Glaub' und Hoffnung nicht verloren.
 
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Da galt's, die Kinder zu ernähren;
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sie griff es an mit heiterm Mut,
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sie zog sie auf in Zucht und Ehren,
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der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
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Zu suchen ihren Unterhalt
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entließ sie segnend ihre Lieben,
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so stand sie nun allein und alt,
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ihr war ihr heitrer Mut geblieben.
 
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Sie hat gespart und hat gesonnen
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und Flachs gekauft und nachts gewacht,
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den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
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das Garn dem Weber hingebracht;
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der hat's gewebt zu Leinewand.
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Die Schere brauchte sie, die Nadel,
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und nähte sich mit eigner Hand
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ihr Sterbehemde sonder Tadel.
 
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Ihr Hemd, ihr Sterbehernd, sie schätzt es,
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verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;
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es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
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ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
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Sie legt es an, des Herren Wort
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am Sonntag früh sich einzuprägen;
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dann legt sie's wohlgefällig fort,
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bis sie darin zur Ruh sie legen.
 
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Und ich, an meinem Abend, wollte,
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ich hätte, diesem Weibe gleich,
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erfüllt, was ich erfüllen sollte
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in meinen Grenzen und Bereich;
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ich wollt', ich hätte so gewußt
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am Kelch des Lebens mich zu laben,
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und könnt' am Ende gleiche Lust
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an meinem Sterbehemde haben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Die alte Waschfrau“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
277
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Adelbert von Chamisso, ein deutscher Dichter des 19. Jahrhunderts.

Beim ersten Lesen des Gedichtes springt der Respekt und die Bewunderung, die das lyrische Ich für die alte Waschfrau empfindet, sofort ins Auge. Chamisso porträtiert sie als arbeitsame, ehrenvolle Frau, die trotz ihres Alters und ihrer widrigen Lebensumstände eine positive Einstellung bewahrt und ihre Pflichten mit Entschlossenheit und Würde erfüllt.

Inhaltlich schildert das Gedicht das Leben der alten Waschfrau, die trotz ihrer schwierigen Umstände (Witwenschaft, das Aufziehen von Kindern, jahrzehntelange, harte Arbeit) immer ihre Pflichten erfüllt und zuversichtlich geblieben ist. Sie hat ihr eigenes Sterbehemd genäht und bewahrt es als kostbare Errungenschaft auf.

Das lyrische Ich drückt seine Bewunderung für die Waschfrau und ihr Leben aus und wünscht zum Ende hin sich selbst ein ähnliches Maß an Zufriedenheit und Erfüllung in seinem eigenen Leben.

Das Gedicht besteht aus sechs Strophen, die jeweils acht Verse enthalten. Diese strenge Struktur und die einfache, direkte Sprache, verdeutlichen Chamissos Respekt für die alte Frau und ihre Arbeitsmoral. Die Anerkennung der einfachen und ehrlichen Arbeit wirkt als Kontrast zur oftmals als dekadent und übertrieben wahrgenommenen Literatur der Romantik, der Zeit, aus der das Gedicht stammt.

Sprachlich fällt auf, dass Chamisso den Alltag der Waschfrau in einfachen und klaren Worten beschreibt, ohne Verwendung von Metaphern oder komplexen Sprachbildern, was die Direktheit und Ehrlichkeit ihrer Arbeit widerspiegelt. Indem das lyrische Ich sein eigenes Leben mit dem der alten Frau vergleicht, schafft Chamisso eine starke emotionale Resonanz und erweckt Empathie beim Leser für die Waschfrau und die Bedeutung ihrer Arbeit.

Weitere Informationen

Adelbert von Chamisso ist der Autor des Gedichtes „Die alte Waschfrau“. Chamisso wurde im Jahr 1781 geboren. Zwischen den Jahren 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein dauerte die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik an. Ihre Auswirkungen waren in der Literatur, der Kunst aber auch der Philosophie und Musik spürbar. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Lyriker der Romantik in Auflösung begriffen. Die zentralen Motive der Romantik sind das Schaurige, Leidenschaftliche, Unterbewusste, Fantastische, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Schriftsteller der Romantik sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unerwähnt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das vorliegende Gedicht umfasst 277 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Adelbert von Chamisso sind „Die Kreuzschau“, „Die Löwenbraut“ und „Zweites Lied von der alten Waschfrau“. Zum Autor des Gedichtes „Die alte Waschfrau“ haben wir auf abi-pur.de weitere 146 Gedichte veröffentlicht.

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