Pompeji und Herculanum von Friedrich Schiller

Welches Wunder begibt sich? Wir flehten um trinkbare Quellen,
Erde, dich an, und was sendet dein Schooß uns herauf!
Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava verborgen
Noch ein neues Geschlecht? Kehrt das entflohne zurück?
Griechen, Römer, o kommt! o seht, das alte Pompeji
Findet sich wieder, aufs neu bauet sich Herkules Stadt.
Giebel an Giebel steigt, der räumige Porticus öffnet
Seine Hallen, o eilt, ihn zu beleben, herbei!
Aufgethan ist das weite Theater, es stürze durch seine
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Sieben Mündungen sich flutend die Menge herein.
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Mimen, wo bleibt ihr? Hervor! das bereitete Opfer vollende
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Atreus Sohn, dem Orest folge der grausende Chor!
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Wohin führet der Bogen des Siegs? Erkennt ihr das Forum?
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Was für Gestalten sind das auf dem curulischen Stuhl?
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Traget, Lictoren, die Beile voran! Den Sessel besteige
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Richtend der Prätor, der Zeug’ trete, der Kläger vor ihn.
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Reinliche Gassen breiten sich aus, mit erhöhetem Pflaster
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Ziehet der schmälere Weg neben den Häusern sich hin.
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Schützend springen die Dächer hervor, die zierlichen Zimmer
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Reihn um den einsamen Hof heimlich und traulich sich her.
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Oeffnet die Läden geschwind und die lange verschütteten Thüren!
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In die schaudrigte Nacht falle der lustige Tag!
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Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke sich dehnen,
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Wie von buntem Gestein schimmernd das Estrich sich hebt!
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Frisch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben.
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Wo ist der Künstler! Er warf eben den Pinsel hinweg.
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Schwellender Früchte voll und lieblich geordneter Blumen
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Fasset der muntre Feston reizende Bildungen ein.
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Mit beladenem Korb schlüpft hier ein Amor vorüber,
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Emsige Genien dort keltern den purpurnen Wein;
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Hoch auf springt die Bacchantin im Tanz, dort ruhet sie schlummernd,
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Und der lauschende Faun hat sich nicht satt noch gesehn.
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Flüchtig tummelt sie hier den raschen Centauren, auf einem
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Knie nur schwebend, und treibt frisch mit dem Thyrsus ihn an.
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Knaben! was säumt ihr? Herbei! Da stehn noch die schönen Geschirre.
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Frisch, ihr Mädchen, und schöpft in den etrurischen Krug!
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Steht nicht der Dreifuß hier auf schön geflügelten Sphinxen?
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Schüret das Feuer! Geschwind, Sklaven, bestellet den Herd!
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Kauft, hier geb’ ich euch Münzen, vom mächtigen Titus gepräget;
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Auch noch die Wage liegt hier, sehet, es fehlt kein Gewicht.
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Stecket das brennende Licht auf den zierlich gebildeten Leuchter,
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Und mit glänzendem Oel fülle die Lampe sich an!
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Was verwahret dies Kästchen? O seht, was der Bräutigam sendet,
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Mädchen! Spangen von Gold, glänzende Pasten zum Schmuck.
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Führet die Braut in das duftende Bad, hier stehn noch die Salben,
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Schminke find’ ich noch hier in dem gehöhlten Krystall.
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Aber wo bleiben die Männer? die Alten? Im ernsten Museum
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Liegt noch ein köstlicher Schatz seltener Rollen gehäuft.
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Griffel findet ihr hier zum Schreiben, wächserne Tafeln;
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Nichts ist verloren, getreu hat es die Erde bewahrt.
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Auch die Penaten, sie stellen sich ein, es finden sich alle
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Götter wieder; warum bleiben die Priester nur aus?
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Den Caduceus schwingt der zierlich geschenkelte Hermes,
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Und die Victoria fliegt leicht aus der haltenden Hand.
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Die Altäre, sie stehen noch da, o kommet, o zündet –
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Lang schon entbehrte der Gott – zündet die Opfer ihm an!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.9 KB)

Details zum Gedicht „Pompeji und Herculanum“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
507
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Pompeji und Herculanum“ ist Friedrich Schiller, ein prominenter deutscher Dichter der Weimarer Klassik, der von 1759 bis 1805 lebte.

Beim ersten Lesen entsteht der Eindruck einer lebhaften Schilderung der Auferstehung der antiken Städte Pompeji und Herculanum, die durch vulkanische Aktivität des Vesuvs begraben wurden. Der Ton ist erstaunt und wundernd, fast in Ehrfurcht vor der wiederentdeckten Pracht dieser antiken Städte.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht die Wiederentdeckung und Ergründung der antiken griechisch-römischen Städte Pompeji und Herculanum. Das lyrische Ich ruft dazu auf, die wieder aufgetauchten Städte zu bevölkern und mit Leben zu füllen. Es imaginiert, wie das Leben in diesen Städten ausgesehen haben könnte – von prachtvollen Theatern und Foren, über gemütliche Wohnhäuser und geschäftige Gassen, bis hin zu rauschenden Festen und intellektuellen Gesprächen in Museen. Dabei schwingt mit, dass diese längst vergangene Zeit noch immer ganz nah ist und dass sie bewundert und erinnert werden sollte.

Formal hat das Gedicht eine wenig festgelegte Form mit Versen unterschiedlicher Länge. Es handelt sich nicht um ein typisches Sonett oder eine andere der gängigen Gedichtformen der Zeit. Die Sprache ist detailreich und enthält viele szenische Beschreibungen sowie direkte Ansprachen an verschiedene Personengruppen, was einen lebendigen und beteiligenden Effekt hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Pompeji und Herculanum“ von Friedrich Schiller ein lebendiges und farbenfrohes Gedicht ist, das die Bedeutung der Geschichte und des kulturellen Erbes betont. Durch die ungewöhnliche Form und die detailreiche, lebendige Sprache gelingt es dem Gedicht, die Leser mitzureißen und sie dazu einzuladen, sich die wieder zum Leben erweckten Städte vorzustellen und diese prachtvolle Vergangenheit zu würdigen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Pompeji und Herculanum“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Schiller. Im Jahr 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. 1796 ist das Gedicht entstanden. Stuttgart und Tübingen ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Auf zeitlicher Ebene lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und mit Goethes Tod 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik wird oft nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Die Klassik orientiert sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. Typisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die wichtigsten Vertreter der Klassik sind: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.

Das 507 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit nur einer Strophe. Weitere Werke des Dichters Friedrich Schiller sind „An den Frühling“, „An die Gesetzgeber“ und „An die Parzen“. Zum Autor des Gedichtes „Pompeji und Herculanum“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 220 Gedichte vor.

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