An die Parzen von Friedrich Schiller

Nicht ins Gewühl der rauschenden Redouten,
Wo Stuzerwiz sich wunderherrlich spreißt,
Und leichter als das Nez der fliegenden Bajouten,
Die Tugend junger Schönen reißt; –
 
Nicht vor die schmeichlerische Toilette,
Wovor die Eitelkeit, als ihrem Gözen, kniet,
Und oft in wärmere Gebete,
Als zu dem Himmel selbst entglüht;
 
Nicht hinter der Gardinen listgen Schleyer
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Wo heuchlerische Nacht das Aug der Welt betrügt,
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Und Herzen, kalt im Sonnenfeuer,
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In glüende Begierden wiegt,
 
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Wo wir die Weisheit schaamroth überraschen,
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Die kühnlich Föbus Stralen trinkt,
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Wo Männer gleich den Knaben diebisch naschen,
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Und Plato von den Sfären sinkt –
 
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Zu dir – zu dir, du einsames Geschwister,
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Euch Töchtern des Geschickes, flieht
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Bey meiner Laute leiserem Geflister
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Schwermüthig süß mein Minnelied.
 
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Ihr einzigen für die noch kein Sonnet gegirret,
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Um deren Geld kein Wucherer noch warb,
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Kein Stuzer noch Klagarien geschwirret,
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Kein Schäfer noch arkadisch starb.
 
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Die ihr den Nervenfaden unsers Lebens
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Durch weiche Finger sorgsam treibt,
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Bis unterm Klang der Scheere sich vergebens
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Die zarte Spinnewebe sträubt.
 
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Daß du auch mir den Lebensfaden spinntest,
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Küß ich o Klotho deine Hand; –
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Daß du noch nicht den jungen Faden trenntest,
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Nimm Lachesis diß Blumenband.
 
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Oft hast du Dornen an den Faden
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Noch öfter Rosen dran gereiht.
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Für Dorn’ und Rosen an dem Faden
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Sey Klotho dir diß Lied geweiht;
 
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Oft haben stürmende Affekte
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Den weichen Zwirn herumgezerrt,
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Oft riesenmäßige Projekte
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Des Fadens freien Schwung gesperrt;
 
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Oft in wollüstig süser Stunde
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War mir der Faden fast zu fein,
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Noch öfter an der Schwermut Schauerschlunde
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Mußt’ er zu fest gesponnen seyn:
 
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Diß Klotho und noch andre Lügen
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Bitt ich dir izt mit Thränen ab,
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Nun soll mir auch fortan genügen
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Was mir die weise Klotho gab.
 
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Nur laß an Rosen nie die Scheere klirren
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An Dornen nur – doch wie du willst.
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Laß wenn du willst die Todenscheere klirren
52 
Wenn du diß eine nur erfüllst.
 
53 
Wenn Göttin izt an Laurens Mund beschworen
54 
Mein Geist aus seiner Hülse springt,
55 
Verrathen, ob des Todenreiches Thoren
56 
Mein junges Leben schwindelnd hängt,
 
57 
Laß ins Unendliche den Faden wallen,
58 
Er wallet durch ein Paradis,
59 
Dann, Göttinn, laß die böse Scheere fallen!
60 
O laß sie fallen Lachesis!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.2 KB)

Details zum Gedicht „An die Parzen“

Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
60
Anzahl Wörter
351
Entstehungsjahr
1782
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

„An die Parzen“ ist ein Gedicht von Friedrich Schiller, einem der berühmtesten deutschen Dramatiker und Lyriker der Klassik. Schiller (1759 - 1805) schrieb das Gedicht in der Zeit der Weimarer Klassik am Ende des 18. Jahrhunderts.

Auf den ersten Eindruck hin ist dieses Gedicht sehr komplex und mit einigen altmodischen Wörtern versehen, die dem modernen Leser zumeist fremd sind. Es scheint, als ob das lyrische Ich in diesem Gedicht an die Parzen (Schicksalsgöttinnen der griechischen Mythologie) richtet und darüber reflektiert, was ihm im Leben wichtig ist.

Das Gedicht darf man so interpretieren, dass das lyrische Ich anfangs die Welt der Vergnügungen und des Vergnügungsspiels ablehnt, da diese Welt dazu führt, dass die Tugend der Menschen auf der Strecke bleibt (Strophe 1 – 4). Anstatt der oberflächlichen Welt der Vergnügungssucht, zieht das lyrische Ich die Einsamkeit (Strophe 5) und die Gesellschaft der Parzen (Strophe 6) vor.

In den weiteren Strophen (7 - 15) spricht das lyrische Ich von seinem eigenen Leben, das metaphorisch als Faden dargestellt wird, der von den Parzen gesponnen, gemessen und durchschnitten wird. Das lyrische Ich reflektiert die Höhen und Tiefen seines Lebens und bittet die Parzen darum, trotz aller Leiden und Schwierigkeiten, den Faden seines Lebens weiterhin zu spinnen und mit Schicksalsschlägen erst zu durchschneiden, wenn es wirklich an der Zeit ist.

Das Gedicht ist in vierzeiligen Strophen mit jeweils einem Paarreim (aabb) geschrieben. Jeder Vers besitzt zumeist sechs Betonungen, weshalb es sich um einen Alexandriner handelt. Die Sprache ist komplex und poetisch mit vielen literarischen und philosophischen Anspielungen sowie Neoologismen.

Insgesamt vermittelt das Gedicht eine tiefe Gedankenwelt, die die Unausweichlichkeit des Schicksals betont und den Wert von Tiefe und Substanz über Oberflächlichkeit hervorhebt. Das lyrische Ich akzeptiert das Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen und scheint in seiner Vergänglichkeit eine Art Trost zu finden.

Weitere Informationen

Friedrich Schiller ist der Autor des Gedichtes „An die Parzen“. Im Jahr 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. 1782 ist das Gedicht entstanden. In Stuttgart ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Epoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Rebellieren gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die traditionellen Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Zentrale Vertreter dieser Epoche waren Goethe und Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise im Jahr 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod im Jahr 1832 ihr Ende nahm. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Der Begriff Humanität ist von zentraler Bedeutung für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Selbstbestimmung, Harmonie, Menschlichkeit, Toleranz und die Schönheit. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das 351 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 60 Versen mit insgesamt 15 Strophen. Friedrich Schiller ist auch der Autor für Gedichte wie „Breite und Tiefe“, „Bürgerlied“ und „Columbus“. Zum Autor des Gedichtes „An die Parzen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 220 Gedichte vor.

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