Die Ideale von Friedrich Schiller
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So willst du treulos von mir scheiden |
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Mit deinen holden Phantasien, |
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Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden, |
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Mit allen unerbittlich fliehn? |
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Kann nichts dich, Fliehende! verweilen, |
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O! meines Lebens goldne Zeit? |
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Vergebens, deine Wellen eilen |
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Hinab ins Meer der Ewigkeit. |
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Erloschen sind die heitern Sonnen, |
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Die meiner Jugend Pfad erhellt, |
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Die Ideale sind zerronnen, |
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Die einst das trunkne Herz geschwellt, |
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Die schöne Frucht, die kaum zu keimen |
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Begann, da liegt sie schon erstarrt! |
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Mich weckt aus meinen frohen Träumen |
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Mit rauhem Arm die Gegenwart. |
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Die Wirklichkeit mit ihren Schranken |
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Umlagert den gebundnen Geist, |
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Sie stürzt, die Schöpfung der Gedanken, |
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Der Dichtung schöner Flor zerreißt. |
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Er ist dahin, der süße Glaube |
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An Wesen, die mein Traum gebahr, |
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Der feindlichen Vernunft zum Raube, |
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Was einst so schon, so göttlich war. |
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Wie einst mit flehendem Verlangen |
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Den Stein Pygmalion umschloß, |
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Bis in des Marmors kalte Wangen |
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Empfindung glühend sich ergoß, |
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So schlangen meiner Liebe Knoten |
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Sich um die Säule der Natur, |
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Bis durch das starre Herz der Todten |
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Der Strahl des Lebens zuckend fuhr. |
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Bis warm von sympathetschem Triebe, |
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Sie freundlich mit dem Freund empfand, |
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Mir wiedergab den Kuß der Liebe, |
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Und meines Herzens Klang verstand; |
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Da lebte mir der Baum, die Rose, |
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Mir sang der Quellen Silberfall, |
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Es fühlte selbst das Seelenlose |
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Von meines Lebens Wiederhall. |
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Es dehnte mit allmächtgem Streben |
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Die enge Brust ein kreisend All, |
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Heraus zu treten in das Leben |
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In That und Wort, in Bild und Schall. |
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Wie groß war diese Welt gestaltet, |
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So lang die Knospe sie noch barg, |
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Wie wenig, ach! hat sich entfaltet, |
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Dieß wenige, wie klein und karg. |
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Wie aus des Berges stillen Quellen |
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Ein Strom die Urne langsam füllt, |
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Und jetzt mit königlichen Wellen |
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Die hohen Ufer überschwillt, |
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Es werfen Steine, Felsenlasten |
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Und Wälder sich in seine Bahn, |
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Er aber stürzt mit stolzen Masten |
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Sich rauschend in den Ozean. |
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So sprang, von kühnem Muth beflügelt, |
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Ein reißend bergab rollend Rad, |
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Von keiner Sorge noch gezügelt, |
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Der Jüngling in des Lebens Pfad. |
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Bis an des Äthers bleichste Sterne |
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Erhub ihn der Entwürfe Flug, |
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Nichts war so hoch, und nichts so ferne, |
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Wohin ihr Flügel ihn nicht trug. |
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Wie leicht ward er dahin getragen, |
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Was war dem Glücklichen zu schwer! |
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Wie tanzte vor des Lebens Wagen |
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Die luftige Begleitung her! |
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Die Liebe mit dem süßen Lohne, |
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Das Glück mit seinem goldnen Kranz, |
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Der Ruhm mit seiner Sternenkrone, |
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Die Wahrheit in der Sonne Glanz! |
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Doch ach! schon auf des Weges Mitte |
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Verloren die Begleiter sich, |
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Sie wandten treulos ihre Schritte, |
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Und einer nach dem andern wich. |
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Leichtfüßig war das Glück entflogen, |
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Des Wissens Durst blieb ungestillt, |
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Des Zweifels finstre Wetter zogen |
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Sich um der Wahrheit Sonnenbild. |
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Des Ruhmes Dunstgestalt berührte |
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Die Weisheit, da verschwand der Trug. |
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Der Liebe süßen Traum entführte |
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Ach! allzuschnell der Hore Flug. |
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Und immer stiller wards, und immer |
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Verlaßner auf dem rauhen Steg, |
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Kaum warf noch einen bleichen Schimmer |
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Die Hofnung auf den finstem Weg. |
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Von all dem rauschenden Geleite, |
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Wer harrte liebend bei mir aus? |
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Wer steht mir tröstend noch zur Seite, |
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Und folgt mir bis zum finstern Haus? |
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Du, die du alle Wunden heilest, |
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Der Freundschaft leise zarte Hand, |
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Des Lebens Bürden liebend theilest, |
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Du, die ich frühe sucht’ und fand, |
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Und du, die gern sich mit ihr gattet, |
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Wie sie, der Seele Sturm beschwört, |
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Beschäftigung, die nie ermattet, |
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Die langsam schaft, doch nie zerstört, |
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Die zu dem Bau der Ewigkeiten |
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Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht, |
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Doch von der großen Schuld der Zeiten |
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Minuten, Tage, Jahre streicht. |
Details zum Gedicht „Die Ideale“
Friedrich Schiller
16
104
577
1796
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das hier vorliegende Gedicht trägt den Titel „Die Ideale“ und stammt von Friedrich Schiller, der von 1759 bis 1805 lebte. Es handelt sich um ein Gedicht aus der Zeit der Romantik.
Der erste Eindruck des Gedichts ist melancholisch und voller Wehmut. Der Autor beschreibt das Scheiden von einem idealisierten Zustand, von einer vergangenen Zeit. Es wirkt so, als ob das lyrische Ich traurig und wehmütig auf die Vergänglichkeit der Ideale zurückblickt und sich wünscht, dass diese länger erhalten geblieben wären.
Der Inhalt des Gedichts lässt sich als Ausdruck von Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit interpretieren. Das lyrische Ich bedauert den Verlust von Idealen, Schönheit und Glückseligkeit, die nun der Vergangenheit angehören. Die Realität und die Begrenzungen des Alltags werden als einschränkend und beengend dargestellt. Der Verlust von Träumen, Glauben und Hoffnung wird betrauert. Das Gedicht scheint auch eine Art Liebesgedicht zu sein, in dem das lyrische Ich die Vergänglichkeit der Liebe thematisiert.
In Bezug auf Form und Sprache handelt es sich um ein Gedicht mit 16 Strophen, wobei jede Strophe aus acht Versen besteht. Das Reimschema des Gedichts ist nicht einheitlich und variiert von Strophe zu Strophe. Man findet hier sowohl Paarreime (z.B. Verse 1 und 2), als auch Kreuzreime (z.B. Verse 3 und 4). Die Sprache ist sehr bildhaft und metaphorisch. Durch den Einsatz von Vergleichen und Symbolen wird die Emotion des Verlustes und der Sehnsucht verstärkt.
Insgesamt handelt es sich bei diesem Gedicht um eine melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit der Ideale und der Schönheit. Es drückt Trauer über den Verlust aus und stellt die weitreichenden Sehnsüchte und Hoffnungen des lyrischen Ichs dar.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Ideale“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Schiller. Geboren wurde Schiller im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg. Im Jahr 1796 ist das Gedicht entstanden. Neustrelitz ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Die Epoche des Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich darüber hinaus auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Mit seinen beiden wichtigen Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.
Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der populärsten Dichter der Weimarer Klassik. Im Jahr 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird heute als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Die Klassik orientiert sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige sowie der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.
Das 577 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 104 Versen mit insgesamt 16 Strophen. Die Gedichte „An den Frühling“, „An die Gesetzgeber“ und „An die Parzen“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Schiller. Zum Autor des Gedichtes „Die Ideale“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.
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