Die Gegenwart von Johann Gottfried Herder

Dunkler Ocean umgürtet
Unsre Erd’ und unser Leben.
Fluten rauschen über Fluten,
Auf den Fluten ruhen Wolken,
Dunkler Abgrund ist die Zukunft.
Nur die Gegenwart ist sicher;
Jüngling, auf! genieße sie.
 
Siehe, dort auf Kafs Gebürgen
Schwingt sich Anka in die Wolken.
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Jeder Staub entsank der Schwinge,
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Und man sagt, er sey unsterblich.
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Wohin schwang er sich? Wo ist er?
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Nur die Gegenwart ist sicher;
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Jüngling, auf! genieße sie.
 
15 
Wie der Tag, so glänzt dein Antlitz,
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Wie die Nacht ist deine Locke,
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Deine Lippen Morgenröthe.
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Morgenroth und Tag und Nächte,
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Auch die schönsten fliehn vorüber.
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Nur die Gegenwart ist sicher;
21 
Jüngling, auf! genieße sie.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Die Gegenwart“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
21
Anzahl Wörter
104
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Gegenwart“ wurde von Johann Gottfried Herder geschrieben, der von 1744 bis 1803 lebte und somit zur Epoche der Aufklärung und empfindsamen Sturm und Drang Bewegung zählt.

Auf den ersten Eindruck hin scheint es für den Leser, dass das Gedicht eine Aufforderung an einen „Jüngling“ ist, den gegenwärtigen Moment zu genießen, anstatt sich über die Vergangenheit oder die Zukunft Sorgen zu machen. Der dunkle Ozean und die Fluten scheinen dabei als Symbole für die ungewisse Zukunft zu stehen, während die sichere Gegenwart durch die Betonung ihrer Sicherheit hervorgehoben wird.

Inhaltlich kann man sagen, dass das lyrische Ich im Gedicht auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweist und gleichzeitig die Bedeutung der Gegenwart hervorhebt. Dies wird besonders in der Wiederholung der Aufforderung „Jüngling, auf! genieße sie.“ in jeder Strophe deutlich. Die Aufforderung, den gegenwärtigen Moment zu genießen, kann als Ausdruck der Carpe-Diem-Philosophie (Nutze den Tag) interpretiert werden.

Die Form des Gedichts folgt einem klaren Muster, wobei jede der drei Strophen aus sieben Versen besteht. Auffällig ist, dass das lyrische Ich jeden Abschnitt mit der gleichen Zeile abschließt, was eine sogenannte Kehrreim-Struktur bildet und die zentrale Botschaft des Gedichts betont.

Die Sprache des Gedichts ist unverkennbar Herders: bildreich und emotional, aber gleichzeitig klar und direkte. Er verwendet natürliche Bilder wie den „dunklen Ozean“, „Fluten“, „Wolken“, und „Morgenröthe“ um die Vergänglichkeit und Unbeständigkeit des Lebens zu verdeutlichen. Gleichzeitig verwendet er das Bild des „Jünglings“, um den Leser direkt anzusprechen und zur Aktion aufzufordern.

Insgesamt vermittelt das Gedicht „Die Gegenwart“ eine philosophische Botschaft über die Wichtigkeit, das Leben im gegenwärtigen Moment zu genießen und nicht zu viel Zeit damit zu verschwenden, sich über die Vergangenheit oder die Zukunft Sorgen zu machen. Diese Botschaft wird durch die Verwendung von Naturbildern und eine klar strukturierte Form unterstrichen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Gegenwart“ ist Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Jahr 1796 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Neustrelitz. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Epoche der Literatur, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Schriftsteller im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Schiller, Goethe und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist im Grund genommen eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und endete mit dem Tod von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1832. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. In der Klassik wird eine geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen sind häufig in Werken der Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Schiller, Goethe, Wieland und Herder bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das Gedicht besteht aus 21 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 104 Worte. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Zum Autor des Gedichtes „Die Gegenwart“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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