Auf Katharinas Thronbesteigung von Johann Gottfried Herder
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Die unsre Mutter ist, |
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Die Grazie auf Europens höchstem Throne, |
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Die Heldin in der Palmenkrone, |
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Die von dem Throne stieg, und Riga küßt: |
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Die Göttin singt mein patriotisch Lied! |
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Erhebe Dich, Gesang! So wie der Adler glüht, |
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Wenn er zur Sonne zielt, stark in ihr Feuer sieht, |
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Und oben dann an Jovis Thron der Donner Last |
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Mit kühnem Griffe faßt: |
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So hebe Dich, mein Lied, im feierlichsten Tone |
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Zur tiefsten Stuf' an Katharinens Throne, |
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Auf den Sie Sich heut schwang! |
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Sie ging, Sie ging den königlichen Gang |
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Hinauf zum Thron und nahm die Kaiserkrone |
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Und Rußlands Scepter in die Hand. |
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O jauchze dreimal, Land! |
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Den Scepter küßte Sie und wägt' ihn mit der Rechte |
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Und sprach: »Du sollst kein Stecken meiner Knechte, |
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Ein Gnadenscepter sollst Du sein!« |
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Sie sprach's. Und Rußland jauchzete darein, |
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Vom Eismeer bis zu uns, vom Lena bis zum Belt; |
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Da jauchzte Katharinens Welt |
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Und bebte nicht mehr. Und der Himmel brach, |
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Und Jovah sah herab und sprach: |
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»Du, meines Thrones Tochter, sei mein Bild |
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Und bitte, was Du willt!« |
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»Nicht, Vater,« sprach Sie, »gieb mir Pracht, |
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Die vom entnervten Mark des Landes glänzet, |
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Nicht Lorbeer, der nur Menschenfeinde kränzet |
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Und, weil er blutig trieft, Tyrannen lüstern macht, |
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Nicht Reichthum, der vom Schweiß des Armen glänzet |
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Und nur für Schmeichler lacht |
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Nicht gieb mir dies! Doch soll ich etwas flehen, |
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Für mich nicht - für die Kinder, für mein Land, |
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So gieb mir Mutterherz und Salomon's Verstand!« |
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Da feierten die Engel; da floß von Jovah's Höhen |
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Der Weisheit Oel, wie Thau vom Hermon fließt, |
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In Strömen auf Ihr Haupt, und - Sie ward, was Sie ist! |
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Monarchin, Mutter, Kaiserin, |
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Europens Schiedesrichterin, |
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Die Göttin Rußlands und der Glanz in Norden |
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Das Alles und noch mehr ist Katharina worden. |
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Ihr Waffenträger, stark durch Ihre Macht, |
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Ihr Adler, deckt in majestät'scher Pracht |
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Sein weites Reich mit Ruh |
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Und eilt mit feuerdrohndem Blick, |
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Voll Ihres Ruhms, den Sternen zu! |
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Wohin, wohin Sie sieht, blüht Glück. |
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Ein Blick der Grazie schafft Tempe aus den Wüsten; |
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Dort, wo die Wilden früh die Morgensonne grüßen, |
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Vom Newa bis zum Don, von unsrer Düna Strand |
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Bis zu des Nordpols ew'ger Nacht |
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Wird Ihr Unsterblichkeit gebracht. |
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Denn Sie, Sie segnet alles Land |
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Und uns! - Heil uns! - Sie segnet Alles zwar, |
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Doch uns, doch uns besucht Sie gar! |
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Sie kam zu uns, die Göttin! |
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Sie lachte auf uns Gnade, auf Jüngling, Greis und Mann, |
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Sie küßte unsre Kinder, nahm unser Opfer an, |
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Sie segnete die Väter und Riga's Wohl; |
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Ja, unsern Tempel der Gerechtigkeit |
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Hat Katharina eingeweiht. |
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Drum, Kaiserin, Dein großer Name soll |
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Das Haus des Rechts, das wir Dir weihn, beglücken; |
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Den Tempel, den wir baun, soll Dein, Dein Name schmücken, |
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Er schmücke unsre Zeit! |
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Jünglinge, die Ihr uns einst Nachwelt seid, |
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Nennt, wenn wir schlafen, nennt zu unserm Ruhm |
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Das Eurer Väter Säculum, |
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Da Peter Sie in seine Staaten nahm, |
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Und nennt das unser Säculum, |
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Da Katharina zu uns kam! |
Details zum Gedicht „Auf Katharinas Thronbesteigung“
Johann Gottfried Herder
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487
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht stammt von Johann Gottfried Herder, einem wichtigen Vertreter der Weimarer Klassik und der Aufklärung, der von 1744 bis 1803 lebte. Somit kann das Werk zeitlich in das 18. Jahrhundert, genauer gesagt in die Epoche der Aufklärung, eingeordnet werden.
Auf den ersten Blick erweckt dieses umfangreiche Gedicht den Eindruck einer Ehrerbietung an eine bedeutende weibliche Gestalt, deren Identität im Titel als Katharina - vermutlich handelt es sich hier um Katharina die Große - genannt wird.
Das Gedicht erkundet und feiert die Erhebung Katharinas zur Kaiserin. Es wird nicht nur ihre Macht und ihr Ansehen hervorgehoben, sondern auch ihre Güte und Weisheit. Sie wird als die „Grazie auf Europens höchstem Throne“, die „Heldin in der Palmenkrone“ und als „Göttin Rußlands“ gepriesen. Sie setzt ihren Willen ein, nicht für persönlichen Gewinn oder Ruhm, sondern zum Wohl ihres Volkes und des Landes. Ihre Erhebung zum Thron und die Art und Weise, wie sie ihre Macht ausübt, werden als etwas Positives und Erhebendes dargestellt und von „ihrem Volk“ gefeiert.
In diesem Gedicht macht Herder Gebrauch von einer ausgefallenen, hochtrabenden Sprache und Metaphern, um seine Bewunderung für Katharina auszudrücken. Sie wird ständig mit göttlichen Attributen in Beziehung gesetzt und übermenschlich dargestellt. In der antiken Mythologie brannte Adler beim Anblick der Sonne, aber sie, wie Adler, sieht stark ins Feuer und steigt zur Sonne, zum Throne auf.
Die Länge des Gedichts und die anhaltende Verwendung von Huldigungen und Lobpreisungen erzeugen eine überwältigende Wirkung und vermitteln das Bild einer fast gottgleichen Herrscherin. Das lyrische Ich spricht Katharina direkt an und bezieht dabei die Zuschauer, das Volk, mit ein.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dieses Gedicht eine ausdrucksstarke und leidenschaftliche Ode an Katharina die Große ist, welche ihre Erhebung zum Thron und die Ausübung ihrer Macht zum Wohle ihres Volkes und Landes feiert. Herder nutzt sein lyrisches Können und seine Meisterschaft der Sprache, um eine fast gottgleiche Figur zu schaffen, deren Einfluss noch lange nach ihrem Tod anhält.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Auf Katharinas Thronbesteigung“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1760 und 1803. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Schriftsteller im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Die Epoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er im Jahr 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Einflüsse der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen sind in der Literatur gebräuchlich. Zu den bedeutenden Motiven der Weimarer Klassik gehören unter anderem Toleranz und Menschlichkeit. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die populärsten Schriftsteller der Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Andere Schriftsteller der Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.
Das vorliegende Gedicht umfasst 487 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 72 Versen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Schlaf“, „An die Freundschaft“ und „Apollo“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Auf Katharinas Thronbesteigung“ weitere 413 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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