Aus dem Gefängniß von Johann Gottfried Herder

Wenn Liebe mir nur, zart geschwingt,
Hier durch das Gitter schleicht
Und mir mein süßes Mädchen bringt
Und meinen Schooß erreicht,
Und dann ihr Arm mich sanft umschlingt,
Ihr Blick anfesselt mich
Kein Vogel, der in Lüften singt,
Ist freier dann als ich!
 
Wenn ringsum volle Becher gehn
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Mit lautem Lustgesang,
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Und unsre Rosen frisch uns stehn,
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Und süß ist unser Trank,
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Und tauchen Unmuth, Gram und Weh
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Hinunter brüderlich
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Kein Fisch in weiter, weiter See
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Ist freier dann als ich!
 
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Wenn eingesperrt ich amselgleich
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Nur lauter schlagen soll
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Von meines Königs Gnadenreich
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Und seines Reiches Wohl,
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Wie gut er ist und groß soll sein,
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Und singe königlich
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Kein Sturmwind in den Wüstenein
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Ist freier dann als ich!
 
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Stein, Wall und Mauern kerkern nicht,
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Kein Gitter kerkert ein;
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Ein Geist, zufrieden, ruhig, spricht:
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»Das soll mein Palast sein!«
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Fühlt Herz sich nur und Muth sich gleich
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Und frei und fröhlich sich
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Nur Engel dort im Himmelreich
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Sind dann so frei als ich!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Aus dem Gefängniß“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
162
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht, mit dem Titel „Aus dem Gefängniß“, stammt von Johann Gottfried Herder, einem der führenden Vertretern der deutschen Literaturbewegung Sturm und Drang sowie der darauffolgenden Weimarer Klassik. Geboren 1744, starb er im Jahr 1803, was das Gedicht zeitlich in das ausgehende 18. Jahrhundert einordnet.

Bereits auf den ersten Blick scheint das lyrische Ich in einer Gefängnissituation zu sein, doch verleugnet es nicht seine innere Freiheit und sein inneres Glück. Es stellt sich als einen Menschen dar, der körperlich gefangen ist, aber geistig ungebunden bleibt.

Inhaltlich setzen sich die vier Strophen des Gedichts mit verschiedenen Facetten des Freiheitsbegriffs auseinander. In der ersten Strophe wird die Liebe als Befreiungsmoment dargestellt. Wenn sein geliebtes Mädchen kommt und ihn umarmt, fühlt sich das lyrische Ich freier als ein Vogel am Himmel. Die zweite Strophe feiert den Genussmoment in Form von Wein und Gesang, wodurch das lyrische Ich eine Freiheit erfährt, die dem freien Fisch im Meer gleicht. Die dritte Strophe beschreibt ein Amselgleiches Singen vom Wohl seines Königs, welches dem lyrischen Ich wider Willen aufgezwungen wird. Doch es findet auch hier einen Freiheitsmoment, ähnlich wie der Sturmwind in der Wüste. In der abschließenden vierten Strophe spricht das lyrische Ich von der relativen Bedeutungslosigkeit materieller Freiheit, wenn der Geist nicht zufrieden und ruhig ist. Es stellt fest, dass es sich selbst in seiner Gefangenschaft frei fühlt und vergleicht seine innere Freiheit sogar mit der der Engel im Himmel.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen zu je acht Versen. Die verwendete Sprache ist einfach und schlicht, verwendet jedoch starke Bildsprache, um das komplexe Thema der Freiheit zu behandeln.

Zusammenfassend betrachtet, handelt es sich um ein tiefgründiges Gedicht, das einerseits die körperlichen Einschränkungen von Gefangenschaft thematisiert, aber andererseits den unzerstörbaren Geist des Menschen und seine Fähigkeit betont, selbst in den schwierigsten Situationen Freude und Freiheit zu finden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Aus dem Gefängniß“ des Autors Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet wird. Die Epoche ordnet sich nach der Literaturepoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Johann Wolfgang von Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Todesjahr (1832) ist gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind gebräuchliche Bezeichnungen für die Literaturepoche. Zu den wichtigsten Motiven der Klassik gehören unter anderem Toleranz und Menschlichkeit. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik charakteristisch. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Die bedeutenden Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Weitere Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden letztgenannten arbeiteten jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Schiller und Goethe.

Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 162 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „An die Freundschaft“, „Apollo“ und „Bilder und Träume“. Zum Autor des Gedichtes „Aus dem Gefängniß“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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