Palästina von Johann Gottfried Herder

Da liegst Du nun, verödet Land,
Wo Gottes Fußtritt stand,
Wo er erschien, der Ewige,
Ein Mensch und wandelte,
Geheimniß sprach und Wunder that;
Da liegt in Dir verödet nun sein Pfad.
 
Sie zeigen jeden Schritt und Tritt,
Nur nicht den Wandler mit.
Sein Dasein, Gegenwart und Kraft
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Ist Alles hingerafft.
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Die öde Stelle trauert da
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Und ächzt: »Hier bin ich, und er ist nicht da!«
 
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Und was er sprach, ist leeres Wort,
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Und was er hie und dort
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So geist-, so liebevoll einst that,
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Ist Wahn, Betrug und Staat.
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Sie bauen da sein leeres Grab;
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Und selbst, sie selbst sind ja sein ärgstes Grab.
 
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O Trauer! Trauer! Weine, Herz,
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Den tiefsten Menschenschmerz!
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Wo Licht einst war und kam nun Nacht,
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Wird ärgre Mitternacht;
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Wo Altar Gottes einmal stand,
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Wird zweifach Leichengruft und Mörderland.
 
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Sie kau'n an Hülsen, letzen sich
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Mit Schall elendiglich,
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Verwehn den Athem vor sich her
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Und dürsten, ach, im Meer!
29 
So bist Du Land und Christenthum
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Und Griechenland und Rom und - liebes Lutherthum.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Palästina“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
168
Entstehungsjahr
1777
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Palästina“ stammt von Johann Gottfried Herder, einem bedeutenden Philosophen, Theologen und Dichter der Aufklärung und Weimarer Klassik. Das genaue Entstehungsdatum des Gedichts liegt nicht vor, jedoch lassen die Lebensdaten des Autors und sein literarisches Schaffen eine Einordnung in das späte 18. Jahrhundert oder frühe 19. Jahrhundert zu.

Beim ersten Eindruck fällt die melancholische und traurige Stimmung sowie der teilweise fassungslosen und beklagenden Ton auf, der das gesamte Gedicht durchzieht. Sowohl inhaltlich als auch emotional ist das lyrische Ich stark in das Geschehen des Gehörten involviert.

Das lyrische Ich schildert die Verödung und den Niedergang des Landes Palästina, das als Symbol für die Plätze steht, an denen einst Gottes Präsenz zu spüren war. Es betrauert die Abwesenheit von Gott und beklagt die Transformation seiner heiligen Orte zu einer „Ödnis“, wessen Pfad nun zerstört ist. Mit tiefgreifender Melancholie trauert das lyrische Ich um die verlorenen Zeiten der göttlichen Präsenz und Aktionen, welche nun nur noch als leerer Schall und hohle Worte existieren, wobei die Menschen „sein ärgstes Grab“ geworden sind - was möglicherweise auf Gottesferne und den Glaubensverlust hinweist.

In Bezug auf die Form ist das Gedicht in fünf Strophen zu je sechs Versen gegliedert. Hierbei wird ein freier Versmaß verwendet, der ein flüssiges Lesen ermöglicht. Die Reimstruktur ist dabei unregelmäßig.

Die Sprache ist metaphorisch und symbolisch gehalten. Es gibt viele Anspielungen und Vergleiche, die auf das biblische Land Palästina und den christlichen Glauben Bezug nehmen, wie beispielsweise „wo Gottes Fußtritt stand“ oder „Sein Dasein, Gegenwart und Kraft / Ist Alles hingerafft.“ Phrasen wie „ächzt: »Hier bin ich, und er ist nicht da!«“ oder „Sie bauen da sein leeres Grab“ unterstreichen die Tragik des verlorenen Glaubens und die tiefe Traurigkeit des lyrischen Ichs.

Alles in allem drückt dieses Gedicht Herders Unzufriedenheit und tiefe Trauer über den Verlust von Bedeutung und Heiligem in der Welt aus. Es zeigt auch seine Bedenken gegenüber der zunehmenden Entfremdung des Menschen von Gott und seine Skepsis gegenüber den Entwicklungen der Gesellschaft und Religion. Es ist eine Kritik und gleichzeitig eine Aufforderung zur Reflexion und Umkehr.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Palästina“ ist Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1777 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Prägend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Literaturepoche endete im Jahr 1832 mit dem Tod Goethes. Das Zentrum der Literatur der Weimarer Klassik lag in Weimar. Oft wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Autoren haben in der Weimarer Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die berühmtesten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Andere bekannte Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Goethe und Schiller.

Das 168 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Amor und Psyche“, „An Auroren“ und „An den Schlaf“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Palästina“ weitere 413 Gedichte vor.

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