Zufriedenheit von Johann Gottfried Herder

Das süßeste Genießen
Ist, nichts von Stolze wissen,
Sich seiner Demuth freun.
Wer seiner Pflicht sich freuet
Und jede Hoffart scheuet,
Der fühlt das Glück, er selbst zu sein.
 
Was nützen uns die Gaben,
Die wir, nicht Andre haben,
Wenn wir nicht brauchen sie?
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Was stören uns die Gaben,
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Die Andre für uns haben?
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Wer sich hat, der entbehrt sie nie.
 
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Mit Dir hast Du verloren
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Dich selbst, Dich selbst, den Thoren,
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Der Alles übernahm.
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Was hast Du als Dein Leben?
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Und ward es Dir gegeben,
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Daß Du's verschwendetest im Gram?
 
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Herr, laß uns unser Fehlen
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Und unsre Tage zählen,
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Nicht Eitelkeit uns freun!
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Laß uns selbststehend werden
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Und vor Dir, hier auf Erden
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Wie dort im Himmel, Kinder sein!
 
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Was nützen uns Geschäfte,
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An die wir unsre Kräfte
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Verschwenden ohne Pflicht?
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In uns, in uns zu wohnen,
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Uns durch uns selbst zu lohnen:
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Die Demuth gieb uns, Hochmuth nicht!
 
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In Wolken schwinden Dünste,
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Nach Wolken zielen Künste,
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Die sich des Leeren freun.
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In wem sich Menschheit reget,
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In wem sich Kraft beweget,
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Der fühl' das Glück, er selbst zu sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Zufriedenheit“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
181
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Zufriedenheit“ und wurde von Johann Gottfried Herder verfasst. Herder zählt zu den bedeutenden Persönlichkeiten der deutschen Aufklärung und verfasste das Gedicht vermutlich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Beim ersten Lesen entfaltet das Gedicht eine klare und entschiedene Botschaft. Es plädiert für Warmherzigkeit, Demut und gegen Hochmut und Eitelkeit und betont die Freude, die aus der eigenen Zufriedenheit und dem eigenen Ich kommt.

Inhaltlich vermittelt „Zufriedenheit“ die Botschaft, dass wahres Glück und Zufriedenheit nicht von äußerem Besitz oder dem Urteil Anderer abhängen, sondern von der Erfüllung der eigenen Pflicht und der Freude an der eigenen Demut. So heißt es im Gedicht: „Der fühlt das Glück, er selbst zu sein.“ (Vers 6) und „Wer sich hat, der entbehrt (der Gaben des Anderen) sie nie.“ (Vers 12). Herder stützt sein Gedicht auf die unbarmherzige Kritik an Hochmut und Eitelkeit, Ausdrücke des Leichtsinns und der Verschwendung, und preist hingegen die Tugenden der Genügsamkeit und Pflichterfüllung.

In Bezug auf Form und Sprache fällt auf, dass das Gedicht in sechs Strophen mit jeweils sechs Versen gegliedert ist. Die Sprache ist klar und eingänglich, sie verwendet klare und kraftvolle Begriffe, die die grundlegende moralische Botschaft unterstreichen. Der Sprachstil und die Rhythmen sind typisch für die Dichtung der Aufklärungszeit, sie haben einen predigenden Ton, der dazu dient, das Thema auf eine eindringliche und weise Weise zu vermitteln.

Abschließend ist Johann Gottfried Herders „Zufriedenheit“ ein Lehrdicht, das dafür plädiert, dass Zufriedenheit und Glück in der eigenen Demut und Genügsamkeit liegen und nicht von äußeren Faktoren wie Ruhm, Reichtum oder der Meinung anderer abhängen. Es handelt sich um ein ethisch und moralisch starkes Gedicht, das den Wert der persönlichen Integrität und der Pflichterfüllung hervorhebt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Zufriedenheit“ des Autors Johann Gottfried Herder. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Zwischen den Jahren 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet wird. Die Epoche ordnet sich nach der Literaturepoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der Literatur, die insbesondere von den Dichtern Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller geprägt wurde. Goethes Italienreise im Jahr 1786 markiert den Anfang der Epoche. Das Todesjahr von Goethe, 1832, markiert das Ende der Weimarer Klassik. In der Literaturepoche sind Einflüsse der Französischen Revolution festzustellen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Die Klassik orientiert sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die populärsten Vertreter der Klassik sind: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.

Das 181 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Bilder und Träume“, „Das Flüchtigste“ und „Das Gesetz der Welten im Menschen“. Zum Autor des Gedichtes „Zufriedenheit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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