Das Märchen von der Wolke von Rainer Maria Rilke

Der Tag ging aus mit mildem Tone,
so wie ein Hammerschlag verklang.
Wie eine gelbe Goldmelone
lag groß der Mond im Kraut am Hang.
 
Ein Wölkchen wollte davon naschen,
und es gelang ihm, ein paar Zoll
des hellen Rundes zu erhaschen,
rasch kaut es sich die Bäckchen voll.
 
Es hielt sich lange auf der Flucht auf
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und sog sich ganz mit Lichte an; –
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da hob die Nacht die goldne Frucht auf:
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Schwarz ward die Wolke und zerrann.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24 KB)

Details zum Gedicht „Das Märchen von der Wolke“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
77
Entstehungsjahr
nach 1891
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Märchen von der Wolke“ wurde von Rainer Maria Rilke verfasst, einem der bedeutendsten Lyriker der deutschen Literatur, der von 1875 bis 1926 lebte. Es kann demzufolge in die Epoche des Expressionismus eingestuft werden.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt sofort die beinahe kindlich anmutende Szenerie ins Auge. Es wird eine idyllische, fast märchenhafte Atmosphäre erzeugt, in welcher die Welt auf eine poetische und sehr bildliche Art und Weise beschrieben wird.

Im Gedicht beschreibt das lyrische Ich das Ende eines Tages, wobei der Untergang der Sonne mit einem Hammerschlag verglichen wird. Der Mond erscheint als eine gelbe Goldmelone, die im Kraut am Hang liegt. Eine Wolke, personifiziert als kleines, hungriges Wesen, versucht, von der Frucht des Mondes zu naschen. Sie kann sich an der Leuchtkraft des Mondes sattessen, bevor die Nacht kommt und sie schluckt.

Inhaltlich lässt sich vermuten, dass Rilke hier eine Allegorie auf das Vergängliche und die Flüchtigkeit der Schönheit erschafft. Die Personifikation der Wolke, die vom herrlichen Leuchten des Mondes nascht, könnte dabei eine Metapher für den Menschen sein, der sich an den Schönheiten der Welt erfreut. Doch wie die Wolke, die von der Nacht verschlungen wird, ist auch diese Freude nur von kurzer Dauer und wird von der Dunkelheit, vielleicht ein Symbol für den Tod oder die Vergänglichkeit, verschluckt.

Form und Sprache des Gedichts sind auffallend einfach und klar. Rilke wählt hier keine komplizierten Versformen, Reime oder rhetorischen Figuren. Der einfache vierzeilige Strophenbau und ein abwechslungsreiches Reimschema verleihen dem Gedicht einen eher sanften, fließenden Rhythmus, der die märchenhafte, fast kindliche Atmosphäre noch unterstreicht. Seine klare und bildhafte Sprache lässt den Leser dabei direkt in die Szene eintauchen und sie vor dem inneren Auge sehen. Es entsteht eine heitere, fast verspielte Stimmung, die jedoch durch den abrupten, unerwarteten Schluss, in dem die Wolke von der Nacht verschluckt wird, jäh unterbrochen und ins Gegenteil verkehrt wird.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das Märchen von der Wolke“ ist Rainer Maria Rilke. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1891 und 1926. Erscheinungsort des Textes ist Frankfurt am Main. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 77 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 12 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke sind „Abend“, „Abend“ und „Abend“. Zum Autor des Gedichtes „Das Märchen von der Wolke“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 338 Gedichte vor.

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