St. Expeditus von Christian Morgenstern
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Einem Kloster, voll von Nonnen, |
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waren Menschen wohlgesonnen. |
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Und sie schickten, gute Christen, |
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ihm nach Rom die schönsten Kisten: |
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Äpfel, Birnen, Kuchen, Socken, |
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eine Spieluhr, kleine Glocken, |
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Gartenwerkzeug, Schuhe, Schürzen... |
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Außen aber stand: Nicht stürzen! |
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Oder: Vorsicht! oder welche |
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wiesen schwarzgemalte Kelche. |
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Und auf jeder Kiste stand |
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»Espedito«, kurzerhand. |
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Unsre Nonnen, die nicht wußten, |
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wem sie dafür danken mußten, |
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denn das Gut kam anonym, |
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dankten vorderhand nur IHM, |
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rieten aber doch ohn Ende |
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nach dem Sender solcher Spende. |
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Plötzlich rief die Schwester Pia |
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eines Morgens: Santa mia! |
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Nicht von Juden, nicht von Christen |
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stammen diese Wunderkisten |
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Expeditus, o Geschwister, |
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heißt er, und ein Heiliger ist er! |
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Und sie fielen auf die Kniee. |
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Und der Heilige sprach: Siehe! |
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Endlich habt ihr mich erkannt. |
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Und nun malt mich an die Wand! |
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Und sie ließen einen kommen, |
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einen Maler, einen frommen. |
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Und es malte der Artiste |
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Expeditum mit der Kiste. |
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Und der Kult gewann an Breite. |
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Jeder, der beschenkt ward, weihte |
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kleine Tafeln ihm und Kerzen. |
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Kurz, er war in aller Herzen. |
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II |
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Da auf einmal, neunzehnhundert |
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fünf, vernimmt die Welt verwundert, |
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daß die Kirche diesen Mann |
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fürder nicht mehr dulden kann. |
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Grausam schallt von Rom es her: |
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Expeditus ist nicht mehr! |
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Und da seine lieben Nonnen |
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längst dem Erdental entronnen, |
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steht er da und sieht sich um |
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und die ganze Welt bleibt stumm. |
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Ich allein hier hoch im Norden |
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fühle mich von seinem Orden, |
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und mein Ketzergriffel schreibt: |
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Sanctus Expeditus - bleibt. |
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Und weil jenes nichts mehr gilt, |
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male ich hier neu sein Bild; |
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Expeditum, den Gesandten, |
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grüß ich hier, des Unbekannten. |
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Expeditum, ihn, den Heiligen, |
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mit den Füßen, den viel eiligen, |
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mit den milden, weißen Haaren |
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und dem fröhlichen Gebaren, |
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mit den Augen braun, voll Güte, |
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und mit einer großen Düte, |
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die den überraschten Kindern |
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strebt ihr spärlich Los zu lindem. |
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Einen güldnen Heiligenschein |
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geb ich ihm noch obendrein, |
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den sein Lächeln um ihn breitet, |
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wenn er durch die Lande schreitet. |
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Und um ihn in Engelswonnen |
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stell ich seine treuen Nonnen: |
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Mägdlein aus Italiens Auen, |
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himmlisch lieblich anzuschauen. |
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Eine aber macht, fürwahr, |
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eine lange Nase gar. |
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Just ins »Bronzne Tor« hinein |
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spannt sie ihr klein Fingerlein. |
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Oben aber aus dem Himmel |
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quillt der Heiligen Gewimmel, |
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und holdselig singt Maria: |
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Santo Espedito - sia! |
Details zum Gedicht „St. Expeditus“
Christian Morgenstern
40
79
372
1871 - 1914
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „St. Expeditus“ stammt von Christian Morgenstern, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der zwischen 1871 und 1914 lebte. Dies legt nahe, dass das Gedicht wahrscheinlich am Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts verfasst wurde.
Der erste Eindruck des Gedichts ist fröhlich und heiter. Es handelt von einem Kloster voller Nonnen, das Geschenke von anonymen Spendern erhält. Die Kisten, in denen die Geschenke geliefert werden, sind mit dem Wort „Expedito“ gekennzeichnet. Nach einigem Rätselraten erkennen die Nonnen, dass „Expeditus“ ein Heiliger ist und sie beginnen, ihn zu verehren und malen sein Bild an die Wand. Doch plötzlich, um das Jahr 1905, verkündet die Kirche, dass St. Expeditus nicht mehr anerkannt wird. Doch das lyrische Ich wählt dennoch dazu, den Heiligen weiterhin zu gedenken und zu ehren.
Inhaltlich handelt dieses Gedicht also von der Anerkennung und dem plötzlichen Verlust eines Heiligen und von der Entscheidung des lyrischen Ich, trotz dieser Umstände an ihn zu glauben und ihn weiterhin zu ehren. Es gibt Einblicke in das Glaubensleben, die traditionellen Gebräuche und die Flexibilität von Glaubenseinstellungen.
Das Gedicht folgt einer strengen Form mit regelmäßig zweizeiligen Strophen. Die Reime sind durchgängig Paarreime, die den heiteren, volksliedartigen Charakter des Gedichts unterstreichen. Die Sprache von Morgenstern ist klar und einfach, doch zugleich bildhaft und humorvoll. Er schafft es, eine große Menge an Information und Gefühl in wenige Worte zu packen und dabei eine einnehmende und charmante Geschichte zu erzählen.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „St. Expeditus“ ist Christian Morgenstern. 1871 wurde Morgenstern in München geboren. In der Zeit von 1887 bis 1914 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Morgenstern handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 79 Versen mit insgesamt 40 Strophen und umfasst dabei 372 Worte. Weitere Werke des Dichters Christian Morgenstern sind „An den Andern“, „An eine Freundin“ und „Anto-logie“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „St. Expeditus“ weitere 189 Gedichte vor.
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Zum Autor Christian Morgenstern sind auf abi-pur.de 189 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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