Jüngste Gericht von Rainer Maria Rilke

So erschrocken, wie sie nie erschraken,
ohne Ordnung, oft durchlocht und locker,
hocken sie in dem geborstnen Ocker
ihres Ackers, nicht von ihren Laken
 
abzubringen, die sie liebgewannen.
Aber Engel kommen an, um Öle
einzuträufeln in die trocknen Pfannen
und um jedem in die Achselhöhle
 
das zu legen, was er in dem Lärme
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damals seines Lebens nicht entweihte;
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denn dort hat es noch ein wenig Wärme,
 
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daß es nicht des Herren Hand erkälte
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oben, wenn er es aus jeder Seite
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leise greift, zu fühlen, ob es gälte.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.1 KB)

Details zum Gedicht „Jüngste Gericht“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
87
Entstehungsjahr
1875 - 1926
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Jüngstes Gericht“ wurde vom berühmten Dichter Rainer Maria Rilke verfasst, der von 1875 bis 1926 lebte. Dies weist auf die literarische Epoche des Symbolismus und der Moderne hin, in der die Werke Rilkes entstanden.

Beim ersten Lesen entsteht ein düsterer und auch rätselhafter Eindruck. Das Gedicht scheint sich mit dem Motiv des Todes und des Jüngsten Gerichts laut christlicher Mythologie auseinanderzusetzen.

Das lyrische Ich spricht hier über tote Menschen, die in „geborstenem Ocker“ (Vers 3) ihres Ackers sitzen, was auf Gräber in Erde hinweist. Sie hängen an ihren Totenlaken und sind somit noch an ihr vergangenes, irdisches Leben gebunden (Strophe 1 und 2). Engel kommen, um Öl in die „trocknen Pfannen“ zu träufeln und jeden Toten zu prüfen. Sie legen in ihre Achselhöhlen etwas, das zur Zeit des Lärms des Lebens der Verstorbenen nicht entweiht wurde (Strophe 2 und 3). Es hat noch Wärme und sollte nicht die Hand des Herrn erkälten, wenn er es prüft, um zu sehen, ob es zählt (Strophe 4).

Inhaltlich geht Rilke der Frage nach, wie es ist, wenn die Toten am Jüngsten Gericht erweckt werden und wofür sie letztendlich beurteilt werden. Die „Entweihung“ während des Lebens könnte auf Sünden hinweisen, die der Mensch während seiner Lebenszeit begangen hat. Das Öl, das die Engel einträufeln, könnte eine Metapher sein für die Wiedereinführung der Toten ins Leben, Aktivität oder Heiligkeit.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen unterschiedlicher Länge, die jeweils aus 4, 4, 3 und 3 Versen bestehen. Auffällig ist die präzise, fast klinische Sprache, die einen starken Kontrast zur fantastischen, mystischen Thematik bildet. Die Metaphern und sprachlichen Bilder erzeugen eine düstere und geheimnisvolle Atmosphäre und unterstreichen damit das zentrale Thema.

Insgesamt ist „Jüngstes Gericht“ ein typisches Rilke-Werk, das in seiner Feinfühligkeit und Dichte der Sprache, sowie in seiner Auseinandersetzung mit existentiellen Themen, wie Tod, Jenseits und Sünde, besticht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Jüngste Gericht“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rainer Maria Rilke. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Im Zeitraum zwischen 1891 und 1926 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 87 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 14 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Abend“, „Abend in Skaane“ und „Absaloms Abfall“. Zum Autor des Gedichtes „Jüngste Gericht“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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