Hymne an die Muse von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Schwach zu königlichem Feierliede,
Schloß ich lang genug geheim und stumm
Deine Freuden, hohe Pieride!
In des Herzens stilles Heiligtum;
Endlich, endlich soll die Saite künden,
Wie von Liebe mir die Seele glüht,
Unzertrennbarer den Bund zu binden,
Soll dir huldigen dies Feierlied.
 
Auf den Höhn, am ernsten Felsenhange,
10 
Wo so gerne mir die Träne rann,
11 
Säuselte die frühe Knabenwange
12 
Schon dein zauberischer Othem an;
13 
Bin ich, Himmlische, der Göttergnaden,
14 
Königin der Geister, bin ich wert,
15 
Daß mich oft, des Erdetands entladen,
16 
Dein allmächtiges Umarmen ehrt?
 
17 
Ha! vermöcht ich nun, dir nachzuringen,
18 
Königin! in deiner Götterkraft
19 
Deines Reiches Grenze zu erschwingen,
20 
Auszusprechen, was dein Zauber schafft!
21 
Siehe! die geflügelten Aeonen
22 
Hält gebieterisch dein Othem an,
23 
Deinem Zauber huldigen Dämonen,
24 
Staub und Aether ist dir untertan.
 
25 
Wo der Forscher Adlersblicke beben,
26 
Wo der Hoffnung kühner Flügel sinkt,
27 
Keimet aus der Tiefe Lust und Leben,
28 
Wenn die Schöpferin vom Throne winkt;
29 
Seiner Früchte Süßestes bereitet
30 
Ihr der Wahrheit grenzenloses Land;
31 
Und der Liebe schöne Quelle leitet
32 
In der Weisheit Hain der Göttin Hand.
 
33 
Was vergessen wallt an Lethes Strande,
34 
Was der Enkel eitle Ware deckt,
35 
Strahlt heran im blendenden Gewande,
36 
Freundlich von der Göttin auferweckt;
37 
Was in Hütten und in Heldenstaaten
38 
In der göttergleichen Väter Zeit
39 
Große Seelen duldeten und taten,
40 
Lohnt die Muse mit Unsterblichkeit.
 
41 
Sieh! am Dornenstrauche keimt die Rose,
42 
So des Lenzes holder Strahl erglüht;
43 
In der Pieride Mutterschoße
44 
Ist der Menschheit Adel aufgeblüht;
45 
Auf des Wilden krausgelockte Wange
46 
Drückt sie zauberisch den Götterkuß,
47 
Und im ersten glühenden Gesange
48 
Fühlt er staunend geistigen Genuß.
 
49 
Liebend lächelt nun der Himmel nieder,
50 
Leben atmen alle Schöpfungen,
51 
Und im morgenrötlichen Gefieder
52 
Nahen freundlich die Unsterblichen.
53 
Heilige Begeisterung erbauet
54 
In dem Haine nun ein Heiligtum,
55 
Und im todesvollen Kampfe schauet
56 
Der Heroë nach Elysium.
 
57 
Öde stehn und dürre die Gefilde,
58 
Wo die Blüten das Gesetz erzwingt;
59 
Aber wo in königlicher Milde
60 
Ihren Zauberstab die Muse schwingt,
61 
Blühen schwelgerisch und kühn die Saaten,
62 
Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,
63 
Schnell und herrlich Hoffnungen und Taten
64 
Der Geschlechter zur Vollendung auf.
 
65 
Laß der Wonne Zähre dir gefallen!
66 
Laß die Seele des Begeisterten
67 
In der Liebe Taumel überwallen!
68 
Laß, o Göttin! laß mich huldigen!
69 
Siehe! die geflügelten Aeonen
70 
Hält gebieterisch dein Othem an.
71 
Deinem Zauber huldigen Dämonen
72 
Ewig bin auch ich dir untertan.
 
73 
Mag der Pöbel seinen Götzen zollen,
74 
Mag, aus deinem Heiligtum verbannt,
75 
Deinen Lieblingen das Laster grollen,
76 
Mag, in ihrer Schwäche Schmerz entbrannt,
77 
Stolze Lüge deine Würde schänden,
78 
Und dein Edelstes dem Staube weihn,
79 
Mag sie Blüte mir und Kraft verschwenden,
80 
Meine Liebe! - dieses Herz ist dein!
 
81 
In der Liebe volle Lust zerflossen,
82 
Höhnt das Herz der Zeiten trägen Lauf,
83 
Stark und rein im Innersten genossen,
84 
Wiegt der Augenblick Aeonen auf;
85 
Wehe! wem des Lebens schöner Morgen
86 
Freude nicht und trunkne Liebe schafft,
87 
Wem am Sklavenbande bleicher Sorgen
88 
Zum Genusse Kraft und Mut erschlafft.
 
89 
Deine Priester, hohe Pieride!
90 
Schwingen frei und froh den Pilgerstab,
91 
Mit der allgewaltigen Aegide
92 
Lenkst du mütterlich die Sorgen ab;
93 
Schäumend beut die zauberische Schale
94 
Die Natur den Auserkornen dar,
95 
Trunken von der Schönheit Göttermahle
96 
Höhnet Glück und Zeit die frohe Schar.
 
97 
Frei und mutig, wie im Siegesliede,
98 
Wallen sie der edeln Geister Bahn,
99 
Dein Umarmen, hohe Pieride!
100 
Flammt zu königlichen Taten an;
101 
Laßt die Mietlinge den Preis erspähen!
102 
Laßt sie seufzend für die Tugenden,
103 
Für den Schweiß am Joche Lohn erflehen!
104 
Mut und Tat ist Lohn den Edleren!
 
105 
Ha! von ihr, von ihr emporgehoben
106 
Blickt dem Ziele zu der trunkne Sinn
107 
Hör es, Erd und Himmel! wir geloben,
108 
Ewig Priestertum der Königin!
109 
Kommt zu süßem brüderlichem Bunde,
110 
Denen sie den Adel anerschuf,
111 
Millionen auf dem Erdenrunde!
112 
Kommt zu neuem seligem Beruf!
 
113 
Ewig sei ergrauter Wahn vergessen!
114 
Was der reinen Geister Aug ermißt,
115 
Hoffe nie die Spanne zu ermessen!
116 
Betet an, was schön und herrlich ist!
117 
Kostet frei, was die Natur bereitet,
118 
Folgt der Pieride treuen Hand,
119 
Geht, wohin die reine Liebe leitet,
120 
Liebt und sterbt für Freund und Vaterland!
121 
Leben atmen alle Schöpfungen,
122 
Und im morgenrötlichen Gefieder
123 
Nahen freundlich die Unsterblichen.
124 
Heilige Begeisterung erbauet
125 
In dem Haine nun ein Heiligtum,
126 
Und im todesvollen Kampfe schauet
127 
Der Heroë nach Elysium.
 
128 
Öde stehn und dürre die Gefilde,
129 
Wo die Blüten das Gesetz erzwingt;
130 
Aber wo in königlicher Milde
131 
Ihren Zauberstab die Muse schwingt,
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Blühen schwelgerisch und kühn die Saaten,
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Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,
134 
Schnell und herrlich Hoffnungen und Taten
135 
Der Geschlechter zur Vollendung auf.
 
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Laß der Wonne Zähre dir gefallen!
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Laß die Seele des Begeisterten
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In der Liebe Taumel überwallen!
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Laß, o Göttin! laß mich huldigen!
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Siehe! die geflügelten Aeonen
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Hält gebieterisch dein Othem an.
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Deinem Zauber huldigen Dämonen
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Ewig bin auch ich dir untertan.
 
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Mag der Pöbel seinen Götzen zollen,
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Mag, aus deinem Heiligtum verbannt,
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Deinen Lieblingen das Laster grollen,
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Mag, in ihrer Schwäche Schmerz entbrannt,
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Stolze Lüge deine Würde schänden,
149 
Und dein Edelstes dem Staube weihn,
150 
Mag sie Blüte mir und Kraft verschwenden,
151 
Meine Liebe! - dieses Herz ist dein!
 
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In der Liebe volle Lust zerflossen,
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Höhnt das Herz der Zeiten trägen Lauf,
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Stark und rein im Innersten genossen,
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Wiegt der Augenblick Aeonen auf;
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Wehe! wem des Lebens schöner Morgen
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Freude nicht und trunkne Liebe schafft,
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Wem am Sklavenbande bleicher Sorgen
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Zum Genusse Kraft und Mut erschlafft.
 
160 
Deine Priester, hohe Pieride!
161 
Schwingen frei und froh den Pilgerstab,
162 
Mit der allgewaltigen Aegide
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Lenkst du mütterlich die Sorgen ab;
164 
Schäumend beut die zauberische Schale
165 
Die Natur den Auserkornen dar,
166 
Trunken von der Schönheit Göttermahle
167 
Höhnet Glück und Zeit die frohe Schar.
 
168 
Frei und mutig, wie im Siegesliede,
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Wallen sie der edeln Geister Bahn,
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Dein Umarmen, hohe Pieride!
171 
Flammt zu königlichen Taten an;
172 
Laßt die Mietlinge den Preis erspähen!
173 
Laßt sie seufzend für die Tugenden,
174 
Für den Schweiß am Joche Lohn erflehen!
175 
Mut und Tat ist Lohn den Edleren!
 
176 
Ha! von ihr, von ihr emporgehoben
177 
Blickt dem Ziele zu der trunkne Sinn
178 
Hör es, Erd und Himmel! wir geloben,
179 
Ewig Priestertum der Königin!
180 
Kommt zu süßem brüderlichem Bunde,
181 
Denen sie den Adel anerschuf,
182 
Millionen auf dem Erdenrunde!
183 
Kommt zu neuem seligem Beruf!
 
184 
Ewig sei ergrauter Wahn vergessen!
185 
Was der reinen Geister Aug ermißt,
186 
Hoffe nie die Spanne zu ermessen!
187 
Betet an, was schön und herrlich ist!
188 
Kostet frei, was die Natur bereitet,
189 
Folgt der Pieride treuen Hand,
190 
Geht, wohin die reine Liebe leitet,
191 
Liebt und sterbt für Freund und Vaterland!

Details zum Gedicht „Hymne an die Muse“

Anzahl Strophen
23
Anzahl Verse
191
Anzahl Wörter
1039
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Hymne an die Muse“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin geschrieben, einem der bedeutendsten deutschen Dichter der Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte.

Beim ersten Eindruck huldigt das lyrische Ich in diesem Gedicht der Göttin der Künste, der Muse. Sie wird sowohl hervorragend als auch ehrwürdig beschrieben und es wird die tiefe Zuneigung des lyrischen Ichs zu ihr deutlich.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um eine intensive Darstellung der Liebe und Verehrung des lyrischen Ichs zur Muse. Die Muse wird als eine universelle, göttliche und mächtige Kraft dargestellt, die über alles weltliche hinausgeht. Sie hat die Fähigkeit, große Schönheit und Freude hervorzubringen und den Geist zu beflügeln. Die tiefe emotionale Bindung des Dichters zu der Muse und seiner Kunst wird deutlich, besonders durch die intensive Darstellung seiner Gefühle und sein kontinuierlicher Wunsch, ihr zu huldigen und in ihrem Licht zu leben.

Formal ist das Gedicht in viele Strophen unterteilt, wobei jede Strophe aus acht Versen besteht. Vom sprachlichen Stil her ist das Gedicht sehr schwärmerisch und pathetisch. Die Sprache ist komplex und beeindruckend, mit zahlreichen Metaphern und Bildern, um die Macht und Schönheit der Muse zu unterstreichen.

Zusammenfassend ist das Gedicht „Hymne an die Muse“ ein Beispiel für Hölderlins tief empfundene Ehrfurcht und Hingabe zur Kunst, repräsentiert durch die Muse. Es spiegelt den starken Einfluss der Romantik wider, mit ihrem Idealisieren der Natur, der Liebe und der Emotion.

Weitere Informationen

Johann Christian Friedrich Hölderlin ist der Autor des Gedichtes „Hymne an die Muse“. 1770 wurde Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 1039 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 191 Versen mit insgesamt 23 Strophen. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin sind „An die jungen Dichter“, „An unsre Dichter“ und „Das Schicksal“. Zum Autor des Gedichtes „Hymne an die Muse“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.

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