Das Schicksal von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Als von des Friedens heil’gen Thalen,
Wo sich die Liebe Kränze wand,
Hinüber zu den Göttermahlen
Des goldnen Alters Zauber schwand,
Als nun des Schicksals eh’rne Rechte,
Die große Meisterin, die Noth,
Dem übermächtigen Geschlechte
Den langen, bittern Kampf gebot:
 
Da sprang er aus der Mutter Wiege,
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Da fand er sie, die schöne Spur.
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Zu seiner Tugend schwerem Siege,
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Der Sohn der heiligen Natur;
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Der hohen Geister höchste Gabe,
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Der Tugend Löwenkraft begann
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Im Siege, den ein Götterknabe
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Den Ungeheuern abgewann.
 
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Es kann die Lust der goldnen Ernte
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Im Sonnenbrande nur gedeih’n;
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Und nur in seinem Blute lernte
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Der Kämpfer, frei und stolz zu seyn;
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Triumph! Die Paradiese schwanden,
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Wie Flammen aus der Wolke Schoos,
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Wie Sonnen aus dem Chaos, wanden
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Aus Stürmen sich Heroen loß.
 
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Der Noth ist jede Lust entsprossen,
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Und unter Schmerzen nur gedeiht
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Das Liebste, was mein Herz genossen,
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Der holde Reiz der Menschlichkeit;
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So stieg in tiefer Fluth erzogen,
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Wohin kein sterblich Auge sah,
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Stillächelnd aus den schwarzen Wogen
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In stolzer Blüte Cypria.
 
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Durch Noth vereiniget, beschwuren
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Vom Jugendtraume süß berauscht,
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Den Todesbund die Dioskuren,
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Und Schwerd und Lanze ward getauscht;
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In ihres Herzens Jubel eilten
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Sie, wie ein Adlerpaar, zum Streit,
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Wie Löwen ihre Beute, theilten
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Die Liebenden Unsterblichkeit. —
 
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Die Klagen lehrt die Noth verachten,
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Beschämt und ruhmlos läßt sie nicht
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Die Kraft der Jünglinge verschmachten,
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Giebt Muth der Brust, dem Geiste Licht;
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Der Greise Faust verjüngt sie wieder;
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Sie kommt, wie Gottes Blitz, heran,
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Und trümmert Felsenberge nieder,
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Und wallt auf Riesen ihre Bahn.
 
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Mit ihrem heil’gen Wetterschlage,
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Mit Unerbittlichkeit vollbringt
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Die Noth an Einem großen Tage,
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Was kaum Jahrhunderten gelingt;
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Und wenn in ihren Ungewittern
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Selbst ein Elysium vergeht,
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Und Welten ihrem Donner zittern —
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Was groß und göttlich ist, besteht. —
 
57 
O du, Gespielin der Kolossen,
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O weise, zürnende Natur,
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Was je ein Riesenherz beschlossen,
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Es keimt’ in deiner Schule nur;
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Wohl ist Arkadien entflohen.
62 
Des Lebens bessre Frucht gedeiht
63 
Durch sie, die Mutter der Heroen,
64 
Die eherne Nothwendigkeit. —
 
65 
Für meines Lebens goldnen Morgen
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Sei Dank, o Pepromene, dir!
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Ein Saitenspiel und süße Sorgen
68 
Und Träum’ und Thränen gabst du mir;
69 
Die Flammen und die Stürme schonten
70 
Mein jugendlich Elysium,
71 
Und Ruh’ und stille Liebe thronten
72 
In meines Herzens Heiligthum.
 
73 
Es reife von des Mittags Flamme,
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Es reife nun vom Kampf und Schmerz
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Die Blüth’ am gränzenlosen Stamme,
76 
Wie Sprosse Gottes, dieses Herz!
77 
Beflügelt von dem Sturm, erschwinge
78 
Mein Geist des Lebens höchste Lust,
79 
Der Tugend Siegeslust verjünge
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Bei kargem Glücke mir die Brust!
 
81 
Im heiligsten der Stürme falle
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Zusammen meine Kerkerwand,
83 
Und herrlicher und freyer walle,
84 
Mein Geist in’s unbekannte Land!
85 
Hier blutet oft der Adler Schwinge;
86 
Auch drüben warte Kampf und Schmerz!
87 
Bis an der Sonnen lezte ringe,
88 
Genährt vom Siege, dieses Herz.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (31.5 KB)

Details zum Gedicht „Das Schicksal“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
457
Entstehungsjahr
1793
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor des vorgelegten Gedichts ist Johann Christian Friedrich Hölderlin, ein deutscher Lyriker der Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte. Das Gedicht, benannt als „Das Schicksal“, wurde wahrscheinlich in der späten Phase seiner Karriere verfasst.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht in einem eher altertümlichen Deutsch geschrieben ist, was typisch ist für Hölderlin. Es ist ein langes Gedicht, das dem traditionellen Schema des Sonetts nicht folgt. Es besteht aus elf Strophen mit jeweils acht Versen, wodurch es insgesamt 88 Verse aufweist.

Das Hauptthema des Gedichts scheint das Schicksal und seine Auswirkungen auf das Leben und das persönliche Wachstum zu sein. Das lyrische Ich reflektiert über die Rolle des Schicksals und der Notwendigkeit in seinem Leben. Es geht um die Anerkennung, dass die Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt, eine notwendige Komponente für Wachstum und Reifung sind. Das lyrische Ich scheint hierbei die Auffassung zu vertreten, dass wahre Freude und Zufriedenheit nur durch Konfrontation und Überwindung von Schwierigkeiten erreicht werden kann.

Form und Sprache des Gedichts sind in Anlehnung an das antike Epos gestaltet, mit einer Mischung aus formelhaften Wendungen, allegorischen Bildern und mythologischen Anspielungen. Trotz der eher traditionellen Form, zeichnet sich das Gedicht durch einen starken emotionalen Ausdruck und große bildliche Klarheit aus. Es ist reich an metaphorischen Bildern und verwendet diese zur Darstellung persönlicher Erfahrungen und Gedanken des lyrischen Ichs. Es erscheint sowohl feierlich als auch dramatisch, mit vielen lyrischen und epischen Elementen.

Insgesamt stellt Hölderlins „Das Schicksal“ eine tiefe Reflexion über das Leben und seinen Herausforderungen dar und ermutigt dazu, diese als Teil des natürlichen Reifeprozesses anzunehmen. Durch klare und bildgewaltige Sprache webt der Autor ein umfassendes panorama von Emotionen und Gedanken, das zum Nachdenken anregt und eine kraftvolle Botschaft vermittelt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Schicksal“ des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Im Jahr 1770 wurde Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1793 entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 457 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Der Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Deutschen“, „An die Parzen“ und „An die jungen Dichter“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Schicksal“ weitere 181 Gedichte vor.

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