Mein Fluß von Eduard Mörike

O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl!
Empfange nun, empfange
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal,
Und küsse Brust und Wange!
Er fühlt mir schon herauf die Brust,
Er kühlt mit Liebesschauerlust
Und jauchzendem Gesange.
 
Es schlüpft der goldne Sonnenschein
In Tropfen an mir nieder,
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Die Woge wieget aus und ein
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Die hingegebnen Glieder;
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Die Arme hab ich ausgespannt,
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Sie kommt auf mich herzugerannt,
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Sie faßt und läßt mich wieder.
 
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Du murmelst so, mein Fluß, warum?
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Du trägst seit alten Tagen
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Ein seltsam Märchen mit dir um,
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Und mühst dich, es zu sagen;
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Du eilst so sehr und läufst so sehr,
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Als müßtest du im Land umher,
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Man weiß nicht wen, drum fragen.
 
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Der Himmel, blau und kinderrein,
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Worin die Wellen singen,
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Der Himmel ist die Seele dein:
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O laß mich ihn durchdringen!
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Ich tauche mich mit Geist und Sinn
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Durch die vertiefte Bläue hin,
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Und kann sie nicht erschwingen!
 
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Was ist so tief, so tief wie sie?
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Die Liebe nur alleine.
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Sie wird nicht satt und sättigt nie
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Mit ihrem Wechselscheine.
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Schwill an, mein Fluß, und hebe dich!
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Mit Grausen übergieße mich!
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Mein Leben um das deine!
 
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Du weisest schmeichelnd mich zurück
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Zu deiner Blumenschwelle.
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So trage denn allein dein Glück,
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Und wieg auf deiner Welle
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Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh:
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Nach tausend Irren kehrest du
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Zur ewgen Mutterquelle!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Mein Fluß“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
218
Entstehungsjahr
1804 - 1875
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Poem „Mein Fluß“ ist eine Dichtung von Eduard Mörike, einem deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts, der zu den bedeutendsten Vertretern des deutschsprachigen Biedermeiers und der Schwäbischen Schule gehört. Dieses Gedicht kann daher um das Jahr 1837 datiert werden, da es innerhalb von Mörikes Tätigkeit als Pfarrer in Landeskirchlichen Dienst bei seiner Auszeit 1834-1839 geschrieben wurde.

Schon der erste Eindruck des Gedichts erweckt eine Atmosphäre von innerer Freude und Glücksgefühl, hervorgerufen durch die Naturliebe. Das lyrische Ich beschreibt auf sehr persönliche und anschauliche Weise seine Verbundenheit mit dem Fluss, einem Bild für das unermessliche, oft unbegreifliche Leben. Hierbei vergleicht das lyrische Ich das Wasser ausdrucksstark mit einem Geliebten, der seine Brust und Wange küsst und sich sanft an ihn schmiegt. Zudem erhält der Fluss durch seine ständige Bewegung und seine Unablässigkeit eine gewisse Sinnbildlichkeit für das unaufhaltsame Fliessen des Lebens und der Zeit.

In struktureller Hinsicht ist das Gedicht in sechs siebenzeilige Strophen unterteilt, was es rhythmisch und zugleich würdevoll wirken lässt. Es nutzt eine ausgeprägte bildliche Sprache, um ein tieferes Verständnis und Empfinden der Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und dem Fluss zu erzeugen. Gleichzeitig ist die Sprache von hohem emotionalen Gehalt, der eine tiefe persönliche Verbindung zwischen dem lyrischen Ich und dem Fluss suggeriert.

Die Metaphorik von Mörikes Gedicht ist komplex, der Fluss erscheint als eine natürliche Manifestation von Leben, Veränderung und Kontinuität. Daneben steht er auch für Liebe und Sehnsucht. Der Respekt und die Ehrfurcht vor der Natur, repräsentiert durch den Fluss, werden herausgestellt und betont, als ob die Natur eine Gottheit wäre, die das lyrische Ich verehrt und respektiert. Ein weiteres zentrales Thema ist die Vergänglichkeit, die durch den fließenden Charakter des Flusses symbolisiert wird.

Insgesamt erzeugt Eduard Mörikes „Mein Fluss“ eine tiefe Sinneserfahrung durch seine Verwendung starker bildlicher Sprache und emotional aufgeladener Metaphern. Es handelt sich um eine Ode an die Natur und an das Leben, die den ständigen Fluss der Zeit und der menschlichen Existenz betont und gleichzeitig die Schönheit und Kraft der Natur hervorhebt.

Weitere Informationen

Eduard Mörike ist der Autor des Gedichtes „Mein Fluß“. 1804 wurde Mörike in Ludwigsburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1820 und 1875. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Biedermeier zugeordnet werden. Bei Mörike handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 218 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Eduard Mörike ist auch der Autor für Gedichte wie „Elfenlied“, „Er ist’s“ und „Gebet“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Mein Fluß“ weitere 171 Gedichte vor.

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