Die Visite von Eduard Mörike

Philister kommen angezogen:
Man sucht im Garten mich und Haus;
Doch war der Vogel ausgeflogen,
Zu dem geliebten Wald hinaus.
Sie kommen, mich auch da zu stören:
Es ruft, und ruft im Widerhall
Gleich laß ich mich als Kuckuck hören,
Bin nirgends und bin überall.
 
So führt ich sie, nur wie im Traume,
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Als Puck im ganzen Wald herum;
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Ich pfiff und sang von jedem Baume,
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Sie sahn sich fast die Hälse krumm.
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Nun schalten sie: Verfluchte Possen!
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Der Sonderling! der Grobian!
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Da komm ich grunzend angeschossen,
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Ein Eber, mit gefletschtem Zahn.
 
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Mit Schrein, als wenn der Boden brennte,
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Zerstob ein Teil im wilden Lauf,
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Die andern kletterten behende
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Den nächsten besten Baum hinauf;
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Sie krochen weislich bis zum Gipfel,
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Und sahen nicht einmal zurück,
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Doch ich als Eichhorn saß im Wipfel,
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Ich grüße sie und wünsche Glück.
 
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»Ei, welch ein allerliebstes Späßchen!
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Gott grüß Sie, schöne Fraun und Herrn!
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Sie kommen, hoff ich, auf ein Täßchen
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Eichelkaffee? Von Herzen gern!«
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Allein sie fanden's nicht gemütlich
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In dieser ungewohnten Höh.
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So schieden wir für heute gütlich;
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Doch wehe meiner Renommee!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Die Visite“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
180
Entstehungsjahr
1804 - 1875
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Visite“ ist vom Autor Eduard Mörike, der von 1804 bis 1875 lebte. Daher lässt sich das Gedicht in die Epoche des Biedermeier einordnen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und voller Schalk. Es erzählt die Geschichte einer Störung der Privatsphäre und wie das lyrische Ich auf kreative und trickreiche Weise damit umgeht.

Im Inhalt geht es darum, dass unerwünschte Gäste („Philister“) das lyrische Ich besuchen wollen. Doch dieses entzieht sich im Wald und schafft es durch verschiedene Verkleidungen bzw. Rollenwechsel (Kuckuck, Eber, Eichhorn), die unerwünschten Gäste erfolgreich zu verwirren und abzuwehren. Am Ende bietet das lyrische Ich den Gästen ironisch „Eichelkaffee“ an, was sie abschreckt und sie schließlich die Flucht ergreifen lassen. Der letzte Vers deutet allerdings an, dass das lyrische Ich befürchtet, seinen guten Ruf („Renommee“) eingebüßt zu haben.

Das lyrische Ich scheint die Störung seiner Ruhe durch gesellschaftliche Verpflichtungen und unerwünschte Pflichtbesuche satirisch darzustellen. Das Gedicht steht somit kritisch gegenüber solchen gesellschaftlichen Konventionen und hebt die Freiheit des Individuums hervor.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils acht Versen und folgt keinem klassischen Reimschema. Die Sprache ist einfach und klar mit einigen bilderreichen Vergleichen. Die zahlreichen Rollenwechsel des lyrischen Ichs und der humorvolle Ton geben dem Gedicht seine besondere Lebendigkeit und Ausdruckskraft. Die Verwendung von Tiervergleichen zeigt eine tiefe Naturverbundenheit, zugleich aber auch die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und zum Spiel mit Identitäten. Abschließend lässt sich sagen, dass „Die Visite“ ein sehr lebendiges, humorvolles und zeitgleich kritisches Gedicht ist, das auf einfache und schelmische Art und Weise gesellschaftlichen Konventionen hinterfragt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Visite“ des Autors Eduard Mörike. Mörike wurde im Jahr 1804 in Ludwigsburg geboren. Im Zeitraum zwischen 1820 und 1875 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Biedermeier zuordnen. Der Schriftsteller Mörike ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 180 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere Werke des Dichters Eduard Mörike sind „Lose Ware“, „Gesang Weylas“ und „Auf eine Christblume“. Zum Autor des Gedichtes „Die Visite“ haben wir auf abi-pur.de weitere 171 Gedichte veröffentlicht.

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