Schwanenlied von Clemens Brentano

Wenn die Augen brechen,
Wenn die Lippen nicht mehr sprechen,
Wenn das pochende Herz sich stillet
Und der warme Blutstrom nicht mehr quillet:
O dann sinke der Traum zum Spiegel nieder,
Und ich hör' der Engel Lieder wieder,
Die das Leben mir vorüber trugen,
Die so selig mit den Flügeln schlugen
Ans Geläut der keuschen Maiesglocken,
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Daß sie all die Vöglein in den Tempel locken,
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Die so süße wildentbrannte Psalmen sangen:
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Daß die Liebe und die Lust so brünstig rangen,
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Bis das Leben war gefangen und empfangen;
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Bis die Blumen blühten;
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Bis die Früchte glühten,
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Und gereift zum Schoß der Erde fielen,
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Rund und bunt zum Spielen;
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Bis die goldnen Blätter an der Erde rauschten,
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Und die Wintersterne sinnend lauschten,
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Wo der stürmende Sämann hin sie säet,
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Daß ein neuer Frühling schön erstehet.
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Stille wird's, es glänzt der Schnee am Hügel
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Und ich kühl' im Silberreif den schwülen Flügel,
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Möcht' ihn hin nach neuem Frühling zücken,
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Da erstarret mich ein kalt Entzücken
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Es erfriert mein Herz, ein See voll Wonne
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Auf ihm gleitet still der Mond und sanft die Sonne
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Unter den sinnenden, denkenden, klugen Sternen
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Schau' ich mein Sternbild an in Himmelsfernen;
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Alle Leiden sind Freuden, alle Schmerzen scherzen
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Und das ganze Leben singt aus meinem Herzen:
32 
Süßer Tod, süßer Tod
33 
Zwischen dem Morgen- und Abendrot.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Schwanenlied“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
33
Anzahl Wörter
217
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Schwanenlied“ wurde von Clemens Brentano verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Lyriker der Romantik, der von 1778 bis 1842 lebte. Die zeitliche Einordnung deutet auf die Epoche der Romantik hin, die von etwa 1795 bis 1848 andauerte.

Beim ersten Lesen erweckt das Gedicht einen melancholischen und zugleich hoffnungsvollen Eindruck. Es scheint um das Ende, aber auch um das Anfangen und die Zyklen des Lebens zu gehen.

Der Inhalt des Gedichtes lässt sich in einfache Worte fassen: Das lyrische Ich reflektiert über das Ende des Lebens - das Brechen der Augen, das Verstummen der Lippen und das Stillen des Herzens. Es beschreibt den Übergang vom Leben zum Tod als mögliche Rückkehr zu etwas Vertrautem und Schönen - den „Engelsliedern“. Das lyrische Ich erinnert an die Lebenszyklen der Natur und spekuliert über die Wiedergeburt im Frühling. Es akzeptiert den Tod als eine natürliche und notwendige Phase des Lebens und als süßen Übergang zwischen Morgen und Abend.

Formal besteht das Gedicht aus 33 Versen, die in keiner strikten Strophenform organisiert sind. Es verbindet traditionelle Reime mit einer freien Struktur und schafft so einen fließenden, naturähnlichen Rhythmus. Die Sprache ist reich an Bildern und Metaphern. Das Gedicht verwendet personifizierte Naturbilder (wie den „stürmenden Sämann“ und das „Sternbild“) und kombiniert sie mit menschlichen Gefühlen und Wahrnehmungen. Es gibt eine Verschmelzung von Natur, Emotion und Philosophie, was charakteristisch für die Romantik ist.

Insgesamt lässt sich das „Schwanenlied“ von Brentano als eine poetische Reflexion über das Ende des Lebens, die unvermeidbare Natur des Todes und die möglichkeit der Transzendenz oder Wiedergeburt durch den Lauf der Natur interpretieren. Es zeigt eine tiefe Akzeptanz von Leben und Tod und deutet auf die Hoffnung und das Vertrauen auf eine Art jenseitige Wiedergeburt hin.

Weitere Informationen

Clemens Brentano ist der Autor des Gedichtes „Schwanenlied“. Geboren wurde Brentano im Jahr 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz). Zwischen den Jahren 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein dauerte die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik an. Ihre Auswirkungen waren in der Literatur, der Kunst aber auch der Musik und Philosophie spürbar. Die Romantik kann in drei Phasen aufgegliedert werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Welt, die sich durch die einsetzende Industrialisierung und Verstädterung mehr und mehr veränderte, verunsicherte die Menschen. Die Französische Revolution in den Jahren 1789 bis 1799 hatte ebenfalls bedeutende Auswirkungen auf die Romantik. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Andere Motive sind das Fernweh, die Todessehnsucht oder das Nachtmotiv. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Ursprung der Liebe. Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Architektur und Kunst des Mittelalters wurden von den Romantikern wieder geschätzt. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken ist zu beobachten.

Das 217 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 33 Versen mit nur einer Strophe. Die Gedichte „Brautgesang“, „Abschied vom Rhein“ und „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“ sind weitere Werke des Autors Clemens Brentano. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schwanenlied“ weitere 298 Gedichte vor.

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