Totentanz von Rainer Maria Rilke
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Sie brauchen kein Tanz-Orchester; |
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sie hören in sich ein Geheule, |
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als wären sie Eulennester. |
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Ihr Ängsten näßt wie eine Beule, |
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und der Vorgeruch ihrer Fäule |
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ist noch ihr bester Geruch. |
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Sie fassen den Tänzer fester, |
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den rippenbetreßten Tänzer, |
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den Galan, den echten Ergänzer |
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zu einem ganzen Paar. |
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Und er lockert der Ordensschwester |
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über dem Haar das Tuch; |
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sie tanzen ja unter Gleichen. |
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Und er zieht der wachslichtbleichen |
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leise die Lesezeichen |
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aus ihrem Stunden-Buch. |
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Bald wird ihnen allen zu heiß, |
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sie sind zu reich gekleidet; |
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beißender Schweiß verleidet |
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ihnen Stirne und Steiß |
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und Schauben und Hauben und Steine; |
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sie wünschen, sie wären nackt |
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wie ein Kind, ein Verrückter und Eine: |
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die tanzen noch immer im Takt. |
Details zum Gedicht „Totentanz“
Rainer Maria Rilke
3
24
115
1918
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Totentanz“ wurde von Rainer Maria Rilke geschrieben, einem der bedeutendsten Lyriker der deutschen Literatur, der von 1875 bis 1926 lebte. „Totentanz“ ist ein lyrisches Werk, das in die Spätphase von Rilkes Schaffen einzuordnen ist, eine Zeit, in der der Dichter stark von existenziellen und metaphysischen Themen geprägt war.
Beim ersten Lesen entsteht ein unheimlicher, düsterer Eindruck. Das Gedicht handelt von Tänzern, die scheinbar in einer Art Trance oder tiefem Leid tanzen. Es wird jedoch schnell klar, dass diese Tänzer nicht lebendig sind, sondern fiktiv, metaphorisch oder möglicherweise buchstäblich tot.
Die Botschaft scheint eine dunkle Meditation über Leben und Tod, Leid und Entkommen durch Tanz oder Bewegung zu sein. Im ersten Teil des Gedichts wird die innere Qual der Tänzer offengelegt, ihre Ängste und wie das Unausweichliche – der Tod – paradoxerweise ihre beste Eigenschaft ist, da sie ihre eigene Verwesung riechen können. Im zweiten Teil wird das lyrische Ich zum Beobachter eines morbiden Tanzes, in dem Tod und Leben sich vermischen. Der Tänzer lockert das Kopftuch einer Ordensschwester, ein Sinnbild für höhere Macht und Ordnung und sie tanzen „unter Gleichen“, was darauf hindeutet, dass alle Menschen, gleich welcher Herkunft oder Status, sterben müssen. Im letzten Teil wird die physische Zerrissenheit durch den Prozess des Tanzes beschrieben – der unbequeme Drang, aus den Kleidern zu steigen und nackt zu sein – was auf eine Art spirituelles Erwachen oder Erleichterung hindeuten könnte.
Formal handelt es sich bei „Totentanz“ um ein unregelmäßig strukturiertes Gedicht, das aus drei Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl besteht und keinem festen Reimschema folgt. Sprachlich ist das Gedicht stark expressiv und bildgewaltig. Worte wie „Geheule“, „Eulennester“, „Fäule“ und „Ängsten nässt wie eine Beule“ erzeugen ein Gefühl der Dunkelheit und der Unheimlichkeit, was den harten, unvermeidlichen Wahrheiten über Tod und Vergänglichkeit entspricht, die das Gedicht behandelt. Im Gegensatz dazu steht die Eleganz und Schönheit des Tanzes, wie er in der zweiten und dritten Strophe beschrieben wird, der eine Form der Befreiung, aber auch der letzten Zerstörung darstellt.
Weitere Informationen
Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Totentanz“. Der Autor Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1918 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 115 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Absaloms Abfall“, „Adam“ und „Advent“. Zum Autor des Gedichtes „Totentanz“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.
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