Selig glaubst du dich Mensch von Paul Haller

Selig glaubst du dich, Mensch,
Leidiger Sehnsuchtsnarr,
Der die Geißel der Unrast
Wütend schwingt auf sich selbst,
Aufgeblasen zum Gott,
Sich selbst zum blutigen Opfer peitscht;
Dem kein Bett in den Wolken,
Kein Ruhplatz winkt in der Tiefe,
Draus nicht die brennende Jagd
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Mit bellender Meute sich selbst hetzt –
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– Selig, wenn von der Flur
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Sonniger Kindheit ein Strahl
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Tröstlich herüber irrt,
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Wenn auf des Mannes Stirn,
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Die Brände zu kühlen,
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Tau deiner kindlichen Nächte fällt.
 
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Trug und Verhöhnung dein Trost.
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An schwarzer Kette geboren
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Naht die schwärzeste Stund,
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Da der spiegelnde Brunnen,
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Müde des täuschenden Spiels,
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Deinem fragenden Blick
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Ungeheuer entgegenspeit
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Und eisiges Wahrbild.
 
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Grausend schrickst du hinweg,
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Heimatlos,
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Die Wüste dein Ruhplatz.
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Disteln starren und Kaktus,
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Dein Fuß tritt in Dornen,
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Schlangen lauern geballt,
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Um dich stählernes Schweigen,
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In dir glotzende Augen,
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Wahrheit und – Ende.
 
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Hör’ ein Geheimnis: im Ende
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Regt sich der Anfang.
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Hinter brechenden Wolken
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Wölbt sich silberne Bläue,
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Es wallt in der Tiefe, die Wüste
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Staunt lachend auf springende Quellen.
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Es keimen die Breiten,
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Es grünen die Weiten,
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Hoch kämpft ein junger Flötenton –
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Ein Kinderjubel schlägt sich Bahn;
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Aus grünem Kreis bricht’s toll heran,
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Ein schlankes Glied, ein junger Mund,
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Ein tausendfach bewegtes Rund,
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Und aus dir selber klingt’s und schreit
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Wie nie verwelkte Ewigkeit:
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Es ging ein Kind verloren;
50 
Nun schlägt es neu geboren
51 
Zu Leid und Glück und Kämpferlauf
52 
Die ungetrübten Augen auf.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Selig glaubst du dich Mensch“

Autor
Paul Haller
Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
231
Entstehungsjahr
nach 1898
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Der Verfasser des Gedichts ist Paul Haller, ein österreichischer Dichter, der von 1882 bis 1920 lebte. Das Gedicht lässt sich versuchen in den Kontext der späten Jahre des Symbolismus und der beginnenden Moderne einzuordnen.

Das Gedicht entfaltet bei einem ersten Eindruck ein Hoheitsgefühl über den stetigen Zyklus des Lebens und der Wiedergeburt. Es präsentiert eine Reise durch die existenziellen Erfahrungen des Lebens, die Leidenschaft, Verzweiflung, Akzeptanz und schließlich Verwandlung umfasst.

Das lyrische Ich spricht anfangs direkt zu den Menschen. Es stellt den Menschen als ruhelosen Narren dar, der ständig in Bewegung ist und sich selbst als göttliches Opfer sieht. Es gibt keiner Ruheplatz für den Menschen, der immer auf der Jagd ist. Tröstlich ist nur ein Strahl der kindlichen Sonne, der die innere Unruhe zu lindern versucht. Aber Trost ist nur eine Täuschung. Der Mensch sieht das Ungeheuer in seinem fragenden Blick und die Wahrheit ist nur das Ende. Aber am Ende regt sich der Anfang. Nach den Brechungen und Verwirrungen des Lebens, nach der Wüste und der Kargheit, erblüht das Leben erneut in seiner ganzen Fülle und Freude. Ein Kind wird wiedergeboren und es öffnet seine Augen für das Leid und Glück des Lebens.

Vom Aspekt der Form ist das Gedicht in freien Versen geschrieben, was die Moderne und den damaligen Zeitgeist widerspiegelt. Die Strophenlängen sind unregelmäßig und es gibt keinen festen Reim. Die Form spiegelt so die Unruhe und die ständig wechselnden Zustände des menschlichen Daseins wider.

In Bezug auf die Sprache des Gedichts verwendet Haller starke Kontraste („brennende Jagd“, „eisiges Wahrbild“), starke Bilder („Wahrheit und – Ende“) und emotionale Sprache („Selig, wenn von der Flur / Sonniger Kindheit ein Strahl / Tröstlich herüber irrt“) um seine Botschaft zu vermitteln. Er zeichnet ein Bild der menschlichen Existenz, das gleichzeitig intuitiv erfasstbar und komplex ist. Dadurch regt er den Leser an, tiefer in die menschliche Psyche und die existenzielle Bedingung einzudringen.

Zusammenfassend ist das Gedicht eine Reflektion über die existenziellen Bedingungen des menschlichen Lebens, seine Leiden und Freuden und den ewigen Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt. Es fordert den Leser auf, diese tiefen Wirklichkeiten in sich selbst zu erforschen und zu erkennen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Selig glaubst du dich Mensch“ ist Paul Haller. Im Jahr 1882 wurde Haller in Rein bei Brugg geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1898 bis 1920 entstanden. In Aarau ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Naturalismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Haller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 231 Worte. Paul Haller ist auch der Autor für Gedichte wie „An eine Sängerin“, „Augen“ und „Bei Morcote“. Zum Autor des Gedichtes „Selig glaubst du dich Mensch“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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