Menschliches Elend von Georg Trakl

Die Uhr, die vor der Sonne fünfe schlägt –
Einsame Menschen packt ein dunkles Grausen,
Im Abendgarten kahle Bäume sausen.
Des Toten Antlitz sich am Fenster regt.
 
Vielleicht, daß diese Stunde stille steht.
Vor trüben Augen blaue Bilder gaukeln
Im Takt der Schiffe, die am Flusse schaukeln.
Am Kai ein Schwesternzug vorüberweht.
 
Im Hasel spielen Mädchen blaß und blind,
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Wie Liebende, die sich im Schlaf umschlingen.
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Vielleicht, daß um ein Aas dort Fliegen singen,
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Vielleicht auch weint im Mutterschoß ein Kind.
 
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Aus Händen sinken Astern blau und rot,
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Des Jünglings Mund entgleitet fremd und weise;
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Und Lider flattern angstverwirrt und leise;
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Durch Fieberschwärze weht ein Duft von Brot.
 
17 
Es scheint, man hört auch gräßliches Geschrei;
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Gebeine durch verfallne Mauern schimmern.
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Ein böses Herz lacht laut in schönen Zimmern;
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An einem Träumer läuft ein Hund vorbei.
 
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Ein leerer Sarg im Dunkel sich verliert.
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Dem Mörder will ein Raum sich bleich erhellen,
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Indes Laternen nachts im Sturm zerschellen.
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Des Edlen weiße Schläfe Lorbeer ziert.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Menschliches Elend“

Autor
Georg Trakl
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
161
Entstehungsjahr
1913
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Menschliches Elend“ stammt vom österreichischen Dichter Georg Trakl, der von 1887 bis 1914 lebte. Sein Werk ist dem Expressionismus zugeordnet, eine Kunstströmung, die sich in etwa von 1910 bis 1925 erstreckt und auf eine intensive und oft verzerrte Darstellung menschlicher Empfindungen abzielt.

Der erste Eindruck des Gedichts ist düster und melancholisch. Es herrschen Einsamkeit, Angst und Tod in den Versen. Die Stimmung ist bedrückend und teils verstörend, was durch die expressionistische Übersteigerung der Empfindungen noch verstärkt wird.

Der Inhalt des Gedichts ist nicht linear, sondern besteht aus einer Abfolge von Bildern, die menschliches Elend in verschiedenen Facetten darstellen. Das lyrische Ich scheint einen Spaziergang durch einen düsteren, bevölkerten Ort zu machen und beobachtet dabei verschiedene Szenen, die von Existenzangst, Tod und Verfall zeugen. Viele der geschilderten Situationen sind unschön oder gar grausam - beispielsweise das Aas, um das Fliegen singen, oder der Mörder, dem ein Raum sich bleich erhellt.

Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen zu je vier Versen und folgt keiner festen Reimstruktur, was das Ungeordnete, Chaotische der dargestellten Welt unterstreicht. Die Sprache ist bildhaft und metaphorisch und verleiht den dargestellten Szenen eine zusätzliche Dimension. Beispielsweise steht die Uhr, die „vor der Sonne fünfe schlägt“, möglicherweise für das nahende Ende oder den Lauf des (menschlichen) Lebens.

Zusammengefasst handelt es sich bei Trakls „Menschliches Elend“ um eine dunkle, bedrückende Zustandsbeschreibung der menschlichen Existenz, die durch ihre formale Struktur und sprachliche Gestaltung den Expressionismus widerspiegelt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Menschliches Elend“ ist Georg Trakl. Trakl wurde im Jahr 1887 in Salzburg geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1913. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Trakl ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 161 Worte. Die Gedichte „Die Ratten“, „Die junge Magd“ und „Die schöne Stadt“ sind weitere Werke des Autors Georg Trakl. Zum Autor des Gedichtes „Menschliches Elend“ haben wir auf abi-pur.de weitere 60 Gedichte veröffentlicht.

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