Trakl, Georg - An die Verstummten (Gedichtanalyse)

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Georg Trakl, Analyse, Interpretation, Deutung, Referat, Hausaufgabe, Trakl, Georg - An die Verstummten (Gedichtanalyse)
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Referat

Georg Trakl - An die Verstummten (Gedichtinterpretation)

An die Verstummten
von Georg Trakl

O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken.
 
Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt.
Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne der Besessenen,
Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht.
O, das gräßliche Lachen des Golds.
 
10 
Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit,
11 
Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.

(„An die Verstummten“ von Georg Trakl ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24 KB) zur Unterstützung an.)

Das vorliegende Gedicht „An die Verstummten“, welches aus dem Jahre 1913 stammt, von Georg Trakl verfasst wurde und dem Expressionismus zuzuordnen ist, beschäftigt sich epochentypisch mit der Großstadtproblematik und der Industrialisierung. Es bleibt zu vermuten, dass der Autor außerdem Bezug auf den Zerfall der Individuen nimmt, welche sich an die „neue Welt“ anpassen müssen.

Das Gedicht besteht aus drei Strophen, mit zunächst fünf, dann vier und schließlich zwei Versen, also insgesamt elf Versen. Durch die Reduzierung der Verse von Strophe zu Strophe will der Autor möglicherweise den eben erwähnten Zerfall der Individuen verdeutlichen. Es zeigen sich zudem neun weiblich klingende Kadenzen und zwei männlich stumpfe Kadenzen. Im gesamten Gedicht zeigt sich kein deutliches Reimschema, weshalb so für den Leser die Hektik der Großstadt noch deutlicher widergespiegelt wird.

Bereits durch den Titel „An die Verstummten“ lässt sich eine Ansprache an die Menschheit vermuten, was auch Vers 11 „(...) stummer Menschheit (...)“ verdeutlicht. Der Autor Georg Trakl spricht hier also die Gesellschaft an, welche sich nicht über die Probleme der Großstadt und der Industrialisierung äußern. In der ersten Strophe thematisiert das Gedicht die Technisierung und Industrialisierung sowie die daraus folgenden Konsequenzen für die Gesellschaft.

Die Strophe beginnt direkt mit der Interjektion „O“ (Vers 1), welches den Leser direkt in eine eher negative Stimmung bringt und die Frustration der Menschen widerspiegelt. Bereits in Vers 1 zeigt sich also ein typisches Merkmal für ein Gedicht aus der Epoche des Expressionismus, wo eher der Fokus auf das Hässliche gelegt wird und sich der Fokus auf die Großstadt legt. Der Wortlaut „O“ wird zudem noch in Vers 5 und Vers 9 wiederholt. Die Situation in dieser Zeit wird als „Wahnsinn der großen Stadt“ (Vers 1) beschreiben. Dies lässt sich durch einerseits durch den Lärm, aber auch durch die immer weiter neu entwickelten Technologien und die daraus resultierenden Veränderungen für die Gesellschaft erklären.

Auf diese neuen Technologien beziehungsweise auf die Industrialisierung wird auch in Vers 2 direkt Bezug genommen. Durch eine Personifikation wird das starren „Verkrüppelter Bäume“ (Vers 2) beschrieben, welches auf die Umweltverschmutzung in dieser Zeit hindeutet. In der Personifikation und an dem Verb „starren“ zeigt sich abermals ein Bezug zum Titel, da man dies auch als „Schockstarre“deuten kann, also in Bezug auf die Menschen, welche nicht mehr sprechen und zu Verstummten werden. Besonders die Umgebung, beziehungsweise die Mauer, welche als schwarz beschrieben wird (vgl. Vers 2), verdeutlicht diese durch die Industrialisierung verursachte Verschmutzung.

In den Versen drei bis vier zeigt sich ein „Geist des Bösen“ (Vers 3), wodurch metaphorisch Bezug zu der Industrialisierung genommen wird. Symbolisch kann man außerdem die erwähnte „silberne Maske“ (vgl. V.3) deuten. Die Maske lässt sich als Zeichen der Identitätslosigkeit im Zeitalter des Expressionismus deuten und den daraus folgenden Zerfall des Individuums. Die Farbe Silber lässt sich zunächst in Bezug setzen zu Reichtum und dem folgenden Vers 4. Es wird die Großstadt in der Nacht beschrieben und wie die Straße leuchtet. Die „magnetischen Geisel“ lassen sich als Arbeiter in der Großstadt charakterisieren. Diese unterdrückten Arbeiter, die als solche durch die negative Konnotation des Wortes „Geisel“ bezeichnet werden können, werden von dem „Licht“ (Vers 4) verdrängt und somit in den Hintergrund gestellt. Das Licht steht sinnbildlich für das Schöne und Eindrucksvolle der Großstadt, wie hier beispielsweise bei Nacht, welches die negativen Auswirkungen durch die Industrialisierung in den Hintergrund bzw. hier auch in den Schatten stellt.

Vers 5, also der letzte Vers der ersten Strophe, beginnt erneut mit der wehmütig klingenden Interjektion „O“ (Vers 5), wodurch das Leiden erneut am Ende der Strophe verdeutlicht wird. Das beschriebene „Läuten der Abendglocken“ zeigt sich als versunken (vgl. Vers 5). Hier lässt sich Bezug auf die Großstadtproblematik
nehmen, da durch den Lärm der Großstadt vieles verdrängt wird. In der zweiten Strophe des Gedichts wird bildhaft auf die Auswirkungen der Industrialisierung, besonders auf die Gesellschaft im Allgemeinen Bezug genommen, nicht nur auf das Individuum.

Zu Beginn der zweiten Strophe in Vers 6 wird eine „Hure“ beschrieben, welche ein „totes Kindlein gebärt“ (Vers 6). Hier lässt sich Bezug nehmen zu dem Identitätsverlust, aber auch dem Zerfall von generellen moralischen Werten in der Gesellschaft. Bezug auf diese Werte wird direkt in dem darauffolgenden Vers 7 beschrieben. Hier zeigt sich eine Anspielung besonders auf das Festhalten an Altbewährtem wie Religion. Gottes Zorn peitsche rasend die Stirne des Besessenen (vgl. V.7), welches die rasende Industrialisierung beschreibt, aufgrund welcher die „Besessenen“ leiden. Es zeigt sich also eine Abgrenzung von
Werten, wodurch eine Bestrafung stattfindet. So treten vermehrt die in der ersten Strophe genannten Naturkatastrophen, Armut und Krankheiten auf. Auch in Vers 8 wird wieder Bezug auf Farben genommen, in dem Fall auf die Farbe Grün. Die Farbe Grün spiegelt oft Hoffnung wider, welche, wie in Vers 8 erwähnt, zerbricht. Der letzte Vers aus der zweiten Strophe weist eine parallele Struktur zum ersten und letzten Vers der ersten Strophe auf, denn er beginnt ebenfalls wieder mit der Verdeutlichung des Leidens durch die Interjektion „O“ (Vers 9). Der Kapitalismus und die Gier nach Geld werden durch die Personalisierung „grässlich(en) Lachen des Golds“ (Vers 9) gezeigt. Arbeiter werden für wenig Geld angezogen und in den Fabriken ausgebeutet, weshalb dies auch als „grässlich“ (Vers 9) beschrieben wird.

Die dritte und letzte Strophe beschreibt die stumme Menschheit, welche „stille blutet in dunkler Höhle“ (Vers 10). Die Höhle steht also für das negative Leben durch die Auswirkungen der Industrialisierung, wodurch die Menschen stark leiden müssen, welches durch das Wort „bluten“ verdeutlicht wird. Die Höhle zeigt sich
außerdem farblich im Kontrast zu der in Vers 4 erwähnten Großstadt, welche leuchtet.

In Vers 11 wird zum ersten Mal das etwas Positives genannt, das Wort „erlösend“. Hier spiegelt sich also die Hoffnung der Menschheit wider, dass in der Zukunft, also nach der Industrialisierung, wieder eine bessere Zeit für sie kommt.

Zusammengenommen ist dieses Gedicht von Georg Trakl ein typisches Bild von unterdrückten und leidenden Menschen im Prozess der Industrialisierung. An dieser Stelle kann die ursprünglich vorgeschlagene Deutungshypothese bestätigt werden, dass das Individuum, das sich an die "neue Welt" anpassen musste, zerfällt. Durch eine Vielzahl von Farbsymbolen und Personifikationen zieht sich „Hässlichkeit“ durch das ganze Gedicht und rückt so das Leid der Menschen näher ins Blickfeld des Lesers.

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