Der Spaziergang von Georg Trakl

1.
Musik summt im Gehölz am Nachmittag.
Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn.
Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn;
Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag.
 
In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian,
Auf einem Stein steht eine heitere Zahl.
Auf einer Wiese spielen Kinder Ball,
Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an.
 
10 
Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar,
11 
Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief.
12 
Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief
13 
Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar.
 
14 
2.
15 
Die Zeit verrinnt. O süßer Helios!
16 
O Bild im Krötentümpel süß und klar;
17 
Im Sand versinkt ein Eden wunderbar.
18 
Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß.
 
19 
Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land
20 
Und stählern schaun dich deine Augen an.
21 
In Goldnem dort ein Duft von Thymian.
22 
Ein Knabe legt am Weiler einen Brand.
 
23 
Die Liebenden in Faltern neu erglühn
24 
Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl.
25 
Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl
26 
Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün.
 
27 
Im Dornenstrauch verendet weich ein Wild.
28 
Nachgleitet dir ein heller Kindertag,
29 
Der graue Wind, der flatterhaft und vag
30 
Verfallne Düfte durch die Dämmerung spült.
 
31 
3.
32 
Ein altes Wiegenlied macht dich sehr bang.
33 
Am Wegrand fromm ein Weib ihr Kindlein stillt.
34 
Traumwandelnd hörst du wie ihr Bronnen quillt.
35 
Aus Apfelzweigen fällt ein Weiheklang.
 
36 
Und Brot und Wein sind süß von harten Mühn.
37 
Nach Früchten tastet silbern deine Hand.
38 
Die tote Rahel geht durchs Ackerland.
39 
Mit friedlicher Geberde winkt das Grün.
 
40 
Gesegnet auch blüht armer Mägde Schoß,
41 
Die träumend dort am alten Brunnen stehn.
42 
Einsame froh auf stillen Pfaden gehn
43 
Mit Gottes Kreaturen sündelos.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Spaziergang“

Autor
Georg Trakl
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
43
Anzahl Wörter
265
Entstehungsjahr
1913
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

„Der Spaziergang“ von Georg Trakl ist ein Gedicht über eine nostalgische Wanderung, in der durch eine Reihe von Szenen eine Reihe von Ereignissen und Erinnerungen hervorgehoben werden. Den Zuhörern wird ein Gefühl der Ruhe und Wehmut vermittelt, denn die Landschaft verkörpert das lyrische Ich. Durch das Gedicht erinnert es sich an seine Vergangenheit und lädt den Leser ein, sich daran zu erinnern.

Im Gedicht werden verschiedene Bilder beschrieben, die ein Gefühl der Nostalgie und des Verlusts vermitteln. Im ersten Teil, in den Zeilen „Musik summt im Gehölz am Nachmittag“ und „Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn“, wird der Leser eingeladen, in einer friedlichen, ruhigen Natur innezuhalten und den Tag zu genießen, eine Erinnerung an einen wundervollen Spaziergang.

Im zweiten Teil des Gedichts geht es um Erinnerungen und Sehnsüchte, die dem lyrischen Ich besonders zu Herzen gehen. „Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar“ ist ein Beispiel dafür, wie sich das lyrische Ich an seine Vergangenheit erinnert und wie wertvolle Momente der Familienzusammengehörigkeit und des Teilens selbst in einer Zeit, in der es getrennt ist, erinnert werden.

Der dritte Teil des Gedichts schließlich wirft ein wehmütiges Licht auf die Einsamkeit, die das lyrische Ich überwältigt. Es stellt ein Gedankenspiel auf: „Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land“. Es gibt keine Lösung, nur eine stille Trauer.

Insgesamt schafft es „Der Spaziergang“ von Georg Trakl, eine tiefe Atmosphäre der Erinnerungen, Ruhe und Trauer zu vermitteln und lädt die Leser ein, in die Poesie zu versinken, die Erinnerungen zu erleben und sich an die Vergangenheit zu erinnern.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Spaziergang“ ist Georg Trakl. Geboren wurde Trakl im Jahr 1887 in Salzburg. Das Gedicht ist im Jahr 1913 entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Trakl ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 43 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 265 Worte. Die Gedichte „Abendlied“, „Abendmuse“ und „Allerseelen“ sind weitere Werke des Autors Georg Trakl. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Spaziergang“ weitere 60 Gedichte vor.

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