Gewitter von Joachim Ringelnatz

Oben in den Wolken krachte der Donner.
Am Ufer des Indischen Ozeans balzte ein Kind.
Würde der Mond noch monder, die Sonne noch sonner,
So würden die Menschen vielleicht noch drehlicher, als sie schon sind.
 
Tausend Menschen lachten und weinten;
Sechs von dem Tausend wußten, warum;
Zwei von den sechsen aber meinten
Von sich selber, sie seien eigentlich dumm.
 
Breite Straße filmte mir vorbei,
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Links und rechts mit Lichtern und Reflexen
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Fechtend und mit Worten und Geschrei.
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Helle Nacht ergoß sich brausend.
 
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Und ich grüßte ehrfurchtsvoll die zwei,
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Und ich beugte staunend mich den sechsen,
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Kniete, echt und bettelnd, vor dem Tausend.
 
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Vor dem Grand Hotel zu den Drei Mohren
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Kreiste jämmerlich ein Hund und schiß.
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Nebenbei, von irgendwem verloren,
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Lag ein künstliches Gebiß.
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Doch ich räusperte und spie,
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Und ich rotzte,
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Bis ich einer weichen Phantasie
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Würdig trotzte.
 
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Und zur gleichen Zeit mag ein Kommis
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(Elegante Kleidung – sauber – Schaf)
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Auf dem Teppich heiß gestammelt haben,
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Einer, der vom lieben Gott was wollte,
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Was das Hauptbuch und den nächsten Tag betraf;
 
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Dachten andere an Schützengraben.
 
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Denn der Donner grollte.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Gewitter“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
179
Entstehungsjahr
1923
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gewitter“ wurde von Joachim Ringelnatz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettisten, der zwischen 1883 und 1934 lebte. Damit gehört das Werk in die Epoche der Avantgarde und der Weimarer Republik.

Schon beim ersten Lesen des Gedichts fallen die starken Kontraste und die surrealen Elemente auf. Die erste Strophe stellt die natürlichen Kräfte des Donners und der aufgehenden Sonne gegen die Kapriolen der Menschen, während in der zweiten Strophe eine Tiefenpsychologie der Masse entwickelt wird.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht, beginnend mit einem krachenden Donner in den Wolken und einem spielenden Kind am Ufer des Indischen Ozeans, verschiedene Szenen und Eindrücke. Es scheint bewusst die Unterschiedlichkeit von menschlichen Perspektiven und Erfahrungen hervorzuheben, gemischt mit einer gewissen Sinnlosigkeit und Absurdität des Daseins. Das lyrische Ich interagiert mit der Umwelt, ob es nun Menschen beobachtet, Straßenszenen reflektiert oder mit einem Hund vor dem Grand Hotel interagiert.

Formal ist das Gedicht durch eine unregelmäßige, freie Form gekennzeichnet, die sich durch wechselnde Verszahlen innerhalb der Strophen auszeichnet. Die einfache, bisweilen vulgäre Sprache und die Verwendung von Wortspielen prägen die Ästhetik des Textes.

Der letzte Vers wiederholt den ersten Vers und schließt damit den Kreis des Gedichts. Es scheint fast, als ob das lyrische Ich, nachdem es die Vielfalt und Absurdität der menschlichen Erfahrung betrachtet hat, zu dem Schluss kommt, dass der Natur, hier durch den Donner repräsentiert, das letzte Wort gebührt.

Insgesamt zeichnet Ringelnatz in seinem Gedicht „Gewitter“ ein Bild der Gesellschaft seiner Zeit, in der trotz Donner und Sturm das Leben weitergeht, obwohl viele Menschen nicht genau wissen, warum sie tun, was sie tun, und sogar denken, sie seien eigentlich dumm. Und doch scheint das lyrische Ich eine Art von Ehrfurcht und Staunen für das Chaos der Menschheit zu empfinden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Gewitter“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. 1923 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 179 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 30 Versen. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Abglanz“, „Abschied von Renée“ und „Abschiedsworte an Pellka“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gewitter“ weitere 560 Gedichte vor.

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