Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland von Carl Streckfuß

ehrfurchtsvoll überreicht von der königlichen Friedrichs-Wilhelms-Universität zu Berlin den 23. October 1834.

Aus dunklem Quell entspringt die Wissenschaft,
Aus jenem Quell, in dem die Urkraft wohnt,
Die aus des Waizens Korn den schlanken Halm
Und Blüth’ und Aehren ruft zum heitern Licht;
Die aus dem Kern der Frucht den stolzen Baum
Mit reicher Last empor zum Aether treibt;
Und was an Saat im Grund vergraben liegt
Zu schöner Form sich frei entwickeln läßt.
Aus jener Quelle Kraft entspringt der Trieb
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Zu wissen, und das, was dem Geist bewußt,
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Zu einen und zu bilden zur Gestalt,
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Die aufwärts steigen soll zum heitern Licht,
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Und Licht verbreiten soll rings um sich her –
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Und wie die Schöpferkraft sich mannigfach
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Im Weltall zeigt, so, daß nicht Blatt und Blatt
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Gleich ist am Baum, nicht Halm und Halm im Feld;
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So schuf sie auch die Geister, thätig die,
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Empfänglich jene, sämmtlich zugewandt
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Verschiedner Richtung mit verschiedner Kraft,
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Damit das vielgestalt’ge Leben ganz
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Vom Hauch der Wissenschaft durchdrungen sey.
 
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Im Geiste nun, in dem die Thatkraft wohnt,
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Entwickelt sich und sprießt empor die Saat,
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Ob milder Regenguß sie netzen mag,
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Ob nicht, nothwendig und durch eigne Macht.
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Doch soll sie zum vollendeten Gebild
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Zu heitern Höh’n, zum vollen Licht gedeihn,
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Und Licht austheilen den Empfänglichen,
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Dann gnügt nicht mehr der Trieb der innern Kraft,
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Dann ist die Hand des treuen Gärtners noth,
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Die stützen muß den schwanken jungen Baum,
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Ihn sorglich pflegen muß und in Verband
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Mit Bruder-Bäumen bringen andrer Art,
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Die sich aufwachsend fördern gegenseits,
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Die Frucht belebend, die wie Sonnengold
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Dann aus den vollbelaubten Zweigen glänzt,
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Und immer schöner glänzt zum Gipfel hin.
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Wegräumen muß der Gärtner wild Gestrüpp,
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Das in der Pflanzung rings den Grund bedeckt,
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Das jenen klaren sonnengoldnen Schein
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Nicht bis zum Boden leuchtend dringen läßt;
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Das, wild verwachsen, selbst die reife Frucht,
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Wenn sie dem Baum’ entfällt, bedeckt, verbirgt,
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Daß nicht sie der Bedürft’ge fassen kann.
 
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Die treuen Gärtner, edle Fürsten sind’s,
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Die klar erkennen, daß der Staaten Macht
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Unsicher, schwankend, ruht auf roher Kraft,
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Mit ihrem blinden und verworrnen Trieb;
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Und daß nur ihrer Völker klarer Geist,
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Der leicht das Recht’ erkennt und es erwählt,
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Dem heil’gen Thron die sichre Stütze beut.
 
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Dies sehn wir schön bewährt in unserm Land,
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Dem glücklichen, in dem ein Vater herrscht,
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Der glücklich ist in seiner Kinder Glück,
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Dem wahren Glück, das nur im Lichte blüht.
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Drum fördert Er mit treuem Vatersinn
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Und königlicher Macht die Wissenschaft,
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Daß Jeglichem in Seinem weiten Reich,
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Ob thätig, ob empfänglich sey sein Geist,
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Nach seiner Kraft, nach seines Wirkens Kreis
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Sein angemessner Theil beschieden sey,
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Und nie und nirgend walt’ unseel’ge Nacht.
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Und durch das Licht, das Er verbreitet hat,
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Sieht Ihn im Licht selbst sein treues Volk,
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Und sieht Ihn klar – drum liebt und ehrt es Ihn;
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Gern thut’s, wie Er gebeut – denn es erkennt:
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Das Recht’ und Gut’ ist’s nur, was Er gebeut.
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Drum liebt’s und ehrt’s die Seinen, die Er mild
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Geleitet hat auf seinen eignen Pfad.
 
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Mit dieser Lieb’ und dieser Ehrfurcht nahn,
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Erhabne Herrin, heut wir Deinem Blick,
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Der, milden Sternen gleich, auf dieses Land
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Von Deinem ersten Seyn geleuchtet hat,
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Drob freudig stolz es Dich die Seine nennt.
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Wie Du von Jugend auf der Tugend Bild
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Voll Würd’ und hoher Anmuth und gezeigt,
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Wie Du so mild, was menschlich schön und gut,
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Geehrt, geliebt, gefördert und gepflegt,
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Noch ist es unvergessen allem Volk,
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Das weinend, doch mit heißem Segenswunsch,
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Dir nachgesehn, als Dich ein groß Geschick
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Berief zur Zier dem höchsten Thron der Welt,
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Und das mit Wonne Dir entgegenjauchzt,
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Wenn ins erhabne Königs-Vaterhaus
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Du wiederkehrst, beglückend und beglückt.
 
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Doch wir, die unser Königlicher Herr,
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Dein Vater, mild berief, daß im Verein
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Wir walten sollten für die Wissenschaft,
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Damit auf einem Punkt jedweder Strahl,
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Wie mannigfach er einer Sonn’ entquillt,
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Zu einem lichten Glanz vereinigt sey,
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Der wärmend leuchte durch das ganze Land;
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Wir theilen nicht des Volkes Wonne nur,
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Die jubelnd, hohe Herrin, Dich empfängt,
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Und führt vor Deinen Blick besondrer Dank.
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Denn weit hin leuchten will die Wissenschaft
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Und mehrt den Glanz, je weiterhin er strahlt.
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Und Du, die Du im größten Erdenreich
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Den heil’gen Thron mit einem Heros theilst,
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Der herrscht und strebt in Deines Vaters Sinn;
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Du, nicht vergessend Deines Vaterlands,
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Du hast ein neues schönes Band geknüpft,
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Das deutsche Wissenschaft verbunden hat
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Mit jenem unermeßlich weiten Reich.
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Dort wirkt und waltet sie, von Dir gepflegt;
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Und so, wie deutschen Männern, ihr geweiht,
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Auf Ruf vom Thron dort frohe Heimath ward,
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So eilen Rußlands Jünglinge herbei
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Aus eigner Wahl und auf des Herrschers Wort,
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Zu schöpfen aus des deutschen Wissens Quell.
 
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Heil, Alexandra, Dir! Wie Thron und Thron
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Durch Dich verbunden sind zu festem Bund,
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Zur Macht nach außen und zum innern Glück,
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So schlingt durch Dich sich auch ein geistig Band
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Um Volk und Volk, das enger fester wird
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Von Jahr zu Jahr. Wie Dich die Mitwelt preis’t,
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So preis’t die Nachwelt Dich, so hier wie dort,
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Und ruft uns nach: Heil, Alexandra, Heil!

Details zum Gedicht „Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
118
Anzahl Wörter
830
Entstehungsjahr
1834
Epoche
Romantik,
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland“ wurde von Carl Streckfuß verfasst, der von 1778 bis 1844 lebte.

Auf den ersten Blick fällt die Bewunderung des Autors für die von ihm angesprochene Person, Kaiserin Alexandra Feodorowna von Russland, auf. Das lyrische Ich zeigt seine Empfindungen in Bezug auf den Einfluss und die Bedeutung der Wissenschaft, sowie den damit verbundenen Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern und Kulturen.

Zusammengefasst besagt das Gedicht, dass Wissenschaft aus einem dunklen Quell entspringt, welcher gleichzeitig auch die Urkraft hütet. Dieser Quell schafft eine Verbindung, die sich in Naturprozessen widerspiegelt. Es beschreibt auch, wie Wissenschaft und Wissen Triebe aus der unbelebten Natur entstehen lassen, die Licht verbreiten. Das lyrische Ich sieht die Förderung der Wissenschaft als Aufgabe der Herrscherfigur, die symbolisch als Gärtner dargestellt wird, der Saat sät, pflegt und erntet. In den letzten Versen wird die Bewunderung für Kaiserin Alexandra Feodorowna zum Ausdruck gebracht, die als Verbindungsfigur zwischen Kulturen durch die Förderung der Wissenschaft dargestellt wird.

Streckfuß benutzt eine bewundernde und fast ehrfurchtsvolle Sprache in seinem Gedicht. Die Sprache ist formal, die Verse sind lang und folgen einem rhythmischen Muster. Die Metaphern des Gedichts, wie beispielsweise der dunkle Quell und der Gärtner, stellen eine Verbindung zwischen den natürlichen Prozessen und der Wissenschaft her und betonen die Bedeutung des Wissens und des Lernens.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Streckfuß die Wissenschaft und ihre Förderung durch die Herrscherfigur der Kaiserin Alexandra Feodorowna betont. Indem er die wissenschaftlichen Fortschritte und das Lernen als natürliche und lebensspendende Prozesse darstellt, zeigt er die Wichtigkeit dieser Themen in der Gesellschaft und unterstreicht die Rolle der Herrscherfigur in ihrer Unterstützung.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland“ des Autors Carl Streckfuß. Im Jahr 1778 wurde Streckfuß in Gera geboren. Im Jahr 1834 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Halle. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 118 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 830 Worte. Die Gedichte „Das Geständniß“, „Das Leben, ein Räthsel“ und „Das Riesenkind“ sind weitere Werke des Autors Carl Streckfuß. Zum Autor des Gedichtes „Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland“ haben wir auf abi-pur.de weitere 50 Gedichte veröffentlicht.

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