Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof von Joachim Ringelnatz

Vierter Klasse wär’ es noch mehr billig.
Aber da käme ich später an.
Und dann ist die Stellung vielleicht schon vergeben,
Und die Frau Bauratswitwe sagt dann
Wieder: Ich sei arbeitsunwillig.
Und wovon soll ich dann am Freitag leben?
Am liebsten möchte ich gar nicht fahren.
Da könnten wir all das Fahrgeld sparen,
Und lieber versaufen.
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Und da können wir noch die beiden Weinflaschen verkaufen.
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Da wird man wieder mal richtig vergnügt.
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Und hauen uns nachts auf die Bretter am Halleschen Tor,
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Wo manchmal der Bolzenmax liegt.
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Jetzt kommen schon die Krokusse vor,
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Da ist es schon nicht mehr so kalt.
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Und morgen werden wir sehn, wo wir bleiben.
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Da werden sie uns auseinandertreiben
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Wie die Pferdeäppel auf’m Asphalt.
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Ob es wohl wahr ist, wenn man noch lebt – daß man
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Seine Knochen an die Akademie verkaufen kann?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
138
Entstehungsjahr
1924
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

„Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof“ des deutschen Lyrikers Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte, bietet einen kritischen und zugleich traurigen Blick auf das Leben in prekären Verhältnissen. Ringelnatz, der für seine oft humoristischen und sarkastischen Gedichte bekannt ist, verfasste das Werk während der Weimarer Republik, einer Zeit großer politischer und sozialer Veränderungen.

Beim ersten Lesen fällt der ernste Ton des Gedichts auf. Es scheint, als ringe der lyrische Sprecher mit den Herausforderungen des Alltags und dem Druck, eine Arbeit zu finden und gleichzeitig die Grundbedürfnisse des Lebens zu erfüllen. Schon hier ist der sozialkritische Aspekt des Gedichts zu erkennen.

Der Inhalt des Gedichts dreht sich um die Prekarität und Unsicherheit im Leben des lyrischen Ichs. Dieses stellt in Frage, ob es tatsächlich zu einer Arbeitsstelle fahren sollte, da das Fahrgeld dann für wichtige Bedürfnisse, wie Essen und Trinken fehlen würde. Eine Möglichkeit, mit den schwierigen Lebensumständen umzugehen, wird in der Idee des Trinkens und des Lebens auf der Straße vorgeschlagen, begleitet von dem traurigen und trostlosen Bild des nächtlichen Schlafens auf Brettern. Das Gedicht endet mit der resignierten Frage, ob man seine Knochen an eine Akademie verkaufen könnte, wenn man noch am Leben ist – eine Darstellung der finanziellen Sorgen und der Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs.

Form und Sprache des Gedichts sind schlicht gehalten, was zur Intensität der Darstellung des Alltags und der Lebensumstände in den unteren sozialen Schichten beiträgt. Die Verse sind in freien Rhythmen geschrieben und es gibt keinen Reim, was den ernsten und direkten Ton des Gedichts verstärkt. Die Alltagssprache und der einfache Wortschatz unterstreichen die ausweglose Situation, in der sich das lyrische Ich befindet.

Zusammengefasst interpretiert, spiegelt „Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof“ die schroffe Realität und die sozialen Ungerechtigkeiten wider, denen die armen und dienstleistungsorientierten Schichten der Gesellschaft während der Weimarer Republik ausgesetzt waren. Die skizzierten Lebensumstände und Ängste verleihen dem Gedicht seinen sozialkritischen Ton und machen es zu einem starken Appell für soziale Gleichheit und Fürsorge.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof“ des Autors Joachim Ringelnatz. Im Jahr 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1924. München ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne oder Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 20 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 138 Worte. Die Gedichte „Alone“, „Alte Winkelmauer“ und „Alter Mann spricht junges Mädchen an“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Frühlingsanfang auf der Bank vorm Anhalter Bahnhof“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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