Einer meiner Bürsten von Joachim Ringelnatz

Deine Borsten wurden weiche Haare,
Meine drohen auszugehn.
Zweimal im Verlauf der dreißig Jahre
Hab ich dich bewundernd angesehn.
 
Einmal, als du ganz neu warst,
Und jetzt, da mein Zufall sich besinnt,
Daß die Zeit verinnt und das Gefühl gerinnt. – –
Drei Jahrzehnt, in denen du mir treu warst.
 
Gibt sich Treue uns so zum Bequemen,
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Daß wir sie als selbstverständlich nehmen,
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Dann steht’s schlimm.
 
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Schäme ich mich, einen Bart zu küssen,
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Der jahrzehntelang meinen Dreck hat küssen müssen?
 
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Alte Kleiderbürste, Küß’chen! nimm!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.1 KB)

Details zum Gedicht „Einer meiner Bürsten“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
84
Entstehungsjahr
1933
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Einer meiner Bürsten“ stammt vom deutschen Autor Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte. Er gehört zur Epoche der Weimarer Republik und des Expressionismus, doch setzte er mit seinen oftmals humorvollen und skurrilen Gedichten eigene Akzente in der Literatur der damaligen Zeit.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht besonders durch seinen ungewöhnlichen Fokus auf eine Alltagsgegenstand wie eine Bürste auf den Leser. Ringelnatz fasziniert also durch die Kombination des Alltäglichen mit lyrischer Tiefe und Ambivalenz.

Inhaltlich geht das lyrische Ich durch eine tiefe Reflexion über die Zeit und das Vergehen derselben. Dabei ist die Bürste sowohl ein konkreter Gegenstand, als auch ein Symbol für Beständigkeit und Treue. Sie bleibt für 30 Jahre derselben, während das lyrische Ich Veränderungen, sowohl äußerlich (wie im Vers 2, wo von den ausfallenden Haaren die Rede ist) als auch seelisch durchmacht.

In den ersten beiden Strophen wird die Bürste personifiziert und es entsteht ein Dialog zwischen dem lyrischen Ich und dem Gegenstand. In der dritten Strophe wird die gedankliche Entwicklung eingeleitet – die Frage nach der Selbstverständlichkeit von Treue und Konstanz wird aufgeworfen. Die vierte Strophe unterstreicht die Ironie und das Komische des Gedichts indem sich das lyrische Ich fragt, ob es sich schämen muss, einen Bart (eine Bürste) zu küssen, die so lange Zeit seinen „Dreck“ aufgenommen hat. Die letzte Strophe schließt das Gedicht mit einer liebevollen Geste gegenüber der Bürste ab, die sowohl Dankbarkeit als auch Respekt vor der Konstanz und Zuverlässigkeit des Gegenstands ausdrückt.

Was die Form angeht, so weist das Gedicht keine strenge Form oder ein festes Reimschema auf. Jedoch ist die syntaktische Struktur einfach gehalten und es gibt eine klare Gedankenentwicklung. Was die Sprache betrifft, so ist sie alltäglich und einfach, was den humorvollen und ironischen Ton des Gedichts unterstreicht. Vor allem die letzte Zeile „Alte Kleiderbürste, Küß’chen! nimm!“ zeigt den leichten und amüsanten Ton, der die sonst schweren Themen wie Zeit und Vergänglichkeit erleichtert.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Einer meiner Bürsten“ des Autors Joachim Ringelnatz. Geboren wurde Ringelnatz im Jahr 1883 in Wurzen. Das Gedicht ist im Jahr 1933 entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 84 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 14 Versen. Die Gedichte „Abschied von Renée“, „Abschiedsworte an Pellka“ und „Afrikanisches Duell“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Einer meiner Bürsten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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