Es ist der laute Tag hinabgesunken von Clemens Brentano

Es ist der laute Tag hinabgesunken,
Er lächelte in stiller Dämmrung nieder;
Die Dunkelheit hat sich um ihn gewölbet,
Wie um Mathildens kurzes Wachen sorglich
Die Mutter stilles Wiegendunkel hüllet,
Wenn sie die zarten, holden Augenlider
Mit leisen Küssen rührend ihr geschlossen.
Das Leben träumte schon vom Wiedersehen,
Umarmte schon die Rosenglut der Küsse,
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Die ihm des jungen Morgens goldene Lippen,
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Voll heiliger Scham auf seinen runden Wangen,
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Wie züchtigen Kuß der Braut entgegenbeben.
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Und alle Äußrung war zurückgekehrt;
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Sie ruhte still im innern Leben schaffend.
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Es war die Form vom unerkannten Leben
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In allgemeine Einigkeit verschwunden,
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Von jedem Reize sank der Gürtel nieder,
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Und alles ist nur ein und einzig da.
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Ohn' eine Farbe löste sich der Wechsel
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In eine Ruhe aller Farbenspiele.
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Das Wort war in sich selbst zurückgekehrt
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Und die Geschlechter starben mit Entzücken
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Den süßen Tod, der alle Trennung bindet.
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Das Leben lag dem Leben an dem Busen,
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In tiefen Schlaf und Traum zerschmolz die Täuschung,
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Die das Geschaffne schaffend überraschet.
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Da hatte ich den lieben Brief erhalten,
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Aus dem ein heitres Leben zu mir spricht,
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Das durch des Sinnes düstere Gestalten
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Wie Sternenglanz durch weite Nacht sich flicht,
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Und lichter will sich meine Bahn entfalten
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Und freundlich spielen mit dem holden Licht,
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Das durch des Tages Dunkel sich verbreitet
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Und heute mich zur stillen Nacht begleitet.
 
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Die ruhige Nacht, dir hab' ich sie zu danken,
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Sie blüht aus deinem trauten Wirken auf,
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Umfaßt das weite Leben mir mit Schranken,
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Die nimmer ich mit Träumen mir erkauf',
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Und stille durch der regen Seele Ranken
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Sproßt freundlich eine Blume mir herauf,
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Sie soll dir voll erblühn und ich verspreche,
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Daß, welkt sie nicht, nur deine Hand sie breche.
 
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Du reichst mit deiner Liebe im Akkorde
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Ein Lebenslied, das sich zu dir gesellt;
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Erstorben ist die Sprache, wenige Worte
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Durchirren, sich verspätend, meine Welt;
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Da öffnest du in stiller Nacht die Pforte,
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Willkommen sind sie dir, und wohlbestellt
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Ist deine Hütte, meine Töne klingen
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Zu deinen gut ein sanftes Lied zu singen.
 
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Ein zartes Lied, es kann es keiner lehren,
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Es schaffet sich im inneren Gemüt,
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Wo Sehnsucht, Lieb' und himmlisches Verkehren
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Beisammen sind. In Liedes Busen glüht
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Ein leises Bitten und ein still Gewähren,
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Um die wie Blumenkelch dein Leben blüht;
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Und an dem Rande schwebe ich und schwelge,
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Ein Schmetterling, vom Lied im Blumenkelche.
 
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Es harrte still dein mütterlich Verlangen;
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Du siehst ein Zähnchen in dem kleinen Mund,
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Und große Freude hat dich nun umfangen,
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Du tust es fröhlich seinem Vater kund,
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Du zeigst des Kindes runde, volle Wangen,
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Wie es so fröhlich ist und so gesund;
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Doch ich, ich weine, habe nichts zu zeigen,
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Und was ich weine, muß ich still verschweigen.
 
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Noch zweimal wird das Kind dich überraschen,
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Einmal, wenn ihm der Muttersorge Blick
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Im Gehn zum Vater folgt, der froh es haschen
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Und küssen wird, er leitet es zurück,
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Du lohnst das Kind und gibst ihm was zu naschen,
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Und lebend geht und kehret schon dein Glück.
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Doch mir, mir wandelt nie ein solches Leben,
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Um mich wird nie sich stille Heimat weben.
 
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Und wenn es einst die heiligen Worte spricht,
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Dich stammelnd Mutter und ihn Vater nennet,
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Der Sinn durch die Gestalt in Worte bricht
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Und es des Wechsellebens Geist bekennet,
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Dann scheint des dritten Tages festlich Licht,
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Es ist von dir ein fertig Bild getrennet;
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Doch ich werd' ewig mich zum Spiegel bücken
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Und nie ein neues Leben drin erblicken.
 
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Und ewig soll ich stillen Kummer wiegen,
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Erreich' wohl nie das freundlich holde Bild,
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Das, göttlich aus sich selbst emporgestiegen,
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Ein zartes Licht, die rohe Nacht erfüllt,
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An das sich bang all meine Wünsche schmiegen;
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Mein bißchen Gutes, all mein Denken quillt
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Von diesem Licht, und seh' ich's nicht mehr wallen,
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Dann ist die Nacht. Ins Grab muß ich dann fallen.

Details zum Gedicht „Es ist der laute Tag hinabgesunken“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
90
Anzahl Wörter
630
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Clemens Brentano ist der Autor des Gedichtes „Es ist der laute Tag hinabgesunken“. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Im Zeitraum zwischen 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis spät in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte umfangreiche Auswirkungen auf Literatur, Musik, Philosophie und Kunst jener Zeit. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Welt, die sich durch die beginnende Verstädterung und Industrialisierung mehr und mehr veränderte, verunsicherte die Menschen. Die Französische Revolution in den Jahren 1789 bis 1799 hatte ebenfalls Auswirkungen auf die Romantik. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Gedichten und Texten. Phantasie ist für Romantiker das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Poesie und Wissenschaft, zwischen Traum und Wirklichkeit soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es letztlich, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das 630 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 90 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Clemens Brentano sind „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“, „Im Wetter auf der Heimfahrt“ und „Die Abendwinde wehen“. Zum Autor des Gedichtes „Es ist der laute Tag hinabgesunken“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 297 Gedichte vor.

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