Symbolik des Unsinns von Heinrich Heine
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Wir heben nun zu singen an |
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Das Lied von einer Nummer, |
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Die ist geheißen Nummer Drei; |
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Nach Freuden kommt der Kummer. |
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Arabischen Ursprungs war sie zwar, |
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Doch christentümlich frummer |
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In ganz Europa niemand war |
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Wie jene brave Nummer. |
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Sie war ein Muster der Sittlichkeit |
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Und wurde rot wie ein Hummer, |
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Fand sie den Knecht im Bette der Magd; |
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Gab beiden einen Brummer. |
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Des Morgens trank sie den Kaffee |
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Um sieben Uhr im Summer, |
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Im Winter um neun, und in der Nacht |
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Genoß sie den besten Schlummer. |
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Jetzt aber ändert sich der Reim, |
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Und ändern sich die Tage; |
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Es muß die arme Nummer Drei |
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Erdulden Pein und Plage. |
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Da kam ein Schuster und sagte: der Kopf |
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Der Nummer Drei, der sähe |
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Wie eine kleine Sieben aus, |
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Die auf einem Halbmond stehe. |
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Die Sieben sei aber die mystische Zahl |
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Der alten Pythagoreer, |
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Der Halbmond bedeute Dianendienst, |
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Er mahne auch an Sabäer. |
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Sie selber, die Drei, sei Schibboleth |
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Des Oberbonzen von Babel; |
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Durch dessen Buhlschaft sie einst gebar |
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Die heil'ge Dreieinigkeitsfabel. |
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Ein Kürschner bemerkte dagegen: die Drei |
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Sie eine fromme Trulle, |
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Verehrt von unsern Vätern, die einst |
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Geglaubt an jede Schrulle. |
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Da war ein Schneider, der lächelnd sprach, |
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Daß gar nicht existiere |
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Die Nummer Drei, daß sie sich nur |
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Befinde auf dem Papiere. |
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Als solches hörte die arme Drei, |
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Wie eine verzweifelte Ente, |
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Sie wackelte hin, sie wackelte her, |
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Sie jammerte und flennte: |
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»Ich bin so alt wie das Meer und der Wald, |
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Wie die Stern', die am Himmel blinken; |
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Sah Reiche entstehn, sah Reiche vergehn |
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Und Völker aufsteigen und sinken. |
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Ich stand am schnurrenden Webstuhl der Zeit |
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Wohl manches lange Jahrtausend; |
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Ich sah der Natur in den schaffenden Bauch, |
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Das wogte brausend und sausend. |
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Und dennoch widerstand ich dem Sturm |
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Der sinnlich dunkeln Gewalten |
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Ich habe meine Jungferschaft |
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In all dem Spektakel behalten. |
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Was hilft mir meine Tugend jetzt? |
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Mich höhnen Weise und Toren; |
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Die Welt ist schlecht und ungerecht, |
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Läßt niemand ungeschoren. |
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Doch tröste dich, mein Herz, dir blieb |
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Dein Lieben, Hoffen, Glauben, |
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Auch guter Kaffee und ein Schlückchen Rum, |
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Das kann keine Skepsis mir rauben.« |
Details zum Gedicht „Symbolik des Unsinns“
Heinrich Heine
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1797 - 1856
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Symbolik des Unsinns“ wurde von dem deutschen Dichter Heinrich Heine geschrieben, der von 1797 bis 1856 lebte. Damit fällt das Gedicht in die Epoche der Romantik, die sich in der deutschen Literatur von circa 1795 bis 1848 erstreckte, auch wenn Heine oft auch als Übergangsfigur zur Realistik gesehen wird.
Auf den ersten Blick erscheint das Gedicht humorvoll und absurd durch seine Personifizierung einer Nummer und dessen eigenartigen Ereignissen. Beim näheren Hinschauen ist jedoch zu erkennen, dass das Gedicht tiefere Bedeutungen und eine kritische Sicht auf die Gesellschaft transportiert.
Inhaltlich handelt das Gedicht von einer Nummer, genauer der Nummer Drei, die personifiziert und als Protagonistin der Geschichte präsentiert wird. Sie wird zunächst positiv dargestellt, als christlich, rechtgläubig und sittsam. Doch später wird sie von verschiedenen Handwerkern bewertet und interpretiert, wobei jede Interpretation das Wesen der Drei in Frage stellt. Die Drei wird nach und nach immer mehr desillusioniert und verliert an Glaubwürdigkeit und Identität, was sie verzweifeln lässt. Trotz ihres Alters und ihrer Beständigkeit fühlt sie sich missverstanden und unfair behandelt.
Die Botschaft des Gedichts könnte die Relativität der Wahrheit und die Instabilität von Identität sein, die von externen Interpretationen und Meinungen beeinflusst und verändert wird.
Formal besteht das Gedicht aus 16 Strophen zu je vier Versen, hatte also eine sehr geordnete und klare Struktur. Die Sprache ist eher schlicht und schnörkellos, wenn auch durch die Personifizierung und die Erzählweise etwas humorvoll und skurril, was wiederum den Titel „Symbolik des Unsinns“ stützt.
Zusammenfassend präsentiert Heine in „Symbolik des Unsinns“ ein humorvoll-absurdes Gedicht, das jedoch bei genauerer Betrachtung tiefergehende Themen wie Identität, Wahrheit und die leichtfertige Annahme von Interpretationen behandelt. Es zeigt Heines Fähigkeit, komplexe Botschaften in einfacher, klarer Sprache und Form zu verpacken.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Symbolik des Unsinns“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1813 bis 1856 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 345 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 16 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, ich sehne mich nach Thränen“, „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“ und „Ahnung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Symbolik des Unsinns“ weitere 535 Gedichte vor.
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