Chinesisches Trinklied von Richard Dehmel

Der Herr Wirt hier – Kinder, der Wirt hat Wein!
aber laßt noch, stille noch, schenkt nicht ein:
ich muß euch mein Lied vom Kummer erst singen!
Wenn der Kummer kommt, wenn die Saiten klagen,
wenn die graue Stunde beginnt zu schlagen,
wo mein Mund sein Lied und sein Lachen vergißt,
dann weiß Keiner, wie mir ums Herz dann ist,
dann woll’n wir die Kannen schwingen –
die Stunde der Verzweiflung naht.
 
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Herr Wirt, dein Keller voll Wein ist dein,
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meine lange Laute, die ist mein,
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ich weiß zwei lustige Dinge:
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zwei Dinge, die sich gut vertragen:
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Wein trinken und die Laute schlagen!
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eine Kanne Wein zu ihrer Zeit
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ist mehr wert als die Ewigkeit
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und tausend Silberlinge!
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Die Stunde der Verzweiflung naht.
 
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Und wenn der Himmel auch ewig steht
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und die Erde noch lange nicht untergeht:
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wie lange, du, wirst Du’s machen?
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du mitsamt deinem Silber-und-Goldklingklange?
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kaum hundert Jahre – das ist schon lange!
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Ja: leben und dann mal sterben, wißt,
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ist Alles, was uns sicher ist;
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Mensch, ist es nicht zum Lachen?!
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Die Stunde der Verzweiflung naht.
 
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Seht ihr ihn? seht doch, da sitzt er und weint!
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Seht ihr den Affen? da hockt er und greint,
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im Tamarindenbaum – hört ihr ihn plärren?
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über den Gräbern, ganz alleine,
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den armen Affen im Mondenscheine? –
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Und jetzt, Herr Wirt, die Kanne zum Spund!
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jetzt ist es Zeit, sie bis zum Grund
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auf Einen Zug zu leeren – –
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die Stunde der Verzweiflung naht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Chinesisches Trinklied“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
239
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht ist „Chinesisches Trinklied“ von Richard Dehmel, einer führenden Figur der literarischen Bewegung des Naturalismus und des Symbolismus in Deutschland. Er lebte von 1863 bis 1920, also zur Zeit der industriellen Revolution und des Ersten Weltkriegs.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie ein fröhliches Trinklied, das den spontanen Genuss des Lebens feiert. Aber bei näherer Betrachtung drückt es eine tiefere Verzweiflung und Traurigkeit aus.

Inhaltlich handelt das Gedicht von einem lyrischen Ich, das gegen Kummer und Verzweiflung durch Trinken und Musik ankämpft. Es reflektiert das Unausweichliche des Lebens und den Tod, und betont gleichzeitig, dass man den Moment genießen sollte. Die wiederkehrende Zeile „Die Stunde der Verzweiflung naht.“, deutet auf das Herannahen des Kummers hin. Der Sprecher nutzt das Trinken und das Spiel auf der Laute als Fluchtmittel vor der Verzweiflung.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen mit jeweils neun Versen. Die Verse sind assonant und rhymen in einem abcbdefgg Schema, was ihm einen melodischen Klang verleiht. Die Sprache ist relativ einfach und direkt, wenn auch mit metaphorischen und symbolischen Elementen.

Insbesondere ist die Verwendung von Kontrasten auffällig: Freude und Kummer, Leben und Tod, Vergänglichkeit und Ewigkeit. Dies lässt das Gedicht dynamisch und spannungsgeladen erscheinen. Die Verzweiflung ist dabei immer präsent, nur kurz durch das Trinken und Singen unterbrochen.

Es spiegelt die Ängste und Sorgen der Menschen zu einer Zeit der schnellen gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen wider. Die Verzweiflung und das Bedürfnis zu fliehen, zeigen die innere Zerrissenheit und Verunsicherung der Menschen in dieser Zeit. Aber es ist auch eine Mahnung, das Leben in vollen Zügen und trotz seiner Vergänglichkeit zu genießen. Das Gedicht wirkt so wie ein Aufruf zum Genuss, ein Loblied auf den Wein und die Musik, aber es ist auch eine düstere Reflexion auf die Bedingungen des Lebens.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Chinesisches Trinklied“ des Autors Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1893. Erschienen ist der Text in München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 239 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere Werke des Dichters Richard Dehmel sind „Aufblick“, „Ballade vom Volk“ und „Bann“. Zum Autor des Gedichtes „Chinesisches Trinklied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

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