An mein Volk von Richard Dehmel
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Ich möchte wol geehrt von Vielen sein, |
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und auch geliebt; ich weiß es wohl. |
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Aber niemals soll |
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mein Stolz und Wert mir drum gemein |
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mit hunderttausend Andern sein. |
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Ich hab ein großes Vaterland, |
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zehn Völkern schuldet meine Stirn |
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ihr bischen Hirn. |
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Ich habe nie das Volk gekannt, |
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in dem mein reinster Wert entstand. |
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In meiner Heimat steht ein Baum, |
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den liebe ich, der steht so stolz |
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über dem Mittelholz. |
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Da träumt’ich manchen jungen Traum; |
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er wurzelt tief, der hohe Baum. |
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Da träumt’ich, daß der Mensch allein, |
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von Hunderttausenden bewacht, |
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sich eigner macht, |
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bis auch die Völker sich befrein |
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zum Volk ... mein Volk, wann wirst du sein? |
Details zum Gedicht „An mein Volk“
Richard Dehmel
4
20
108
1893
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „An mein Volk“ und stammt aus der Feder von Richard Dehmel, einem bedeutenden deutschen Dichter und Schriftsteller, der von 1863 bis 1920 lebte. Dieser Zeitrahmen weist darauf hin, dass Dehmel die meiste Zeit seines Lebens im 19. und frühen 20. Jahrhundert verbrachte und dementsprechend die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen dieser Zeit erlebte - einschließlich dem Aufkommen des Nationalismus und dem Ersten Weltkrieg.
Beim ersten Lesen des Gedichts fällt eine tiefe Auseinandersetzung Dehmels mit der Idee und der Wirklichkeit von „Volk“ und „Vaterland“ auf. Dabei formuliert er seine sehr individuelle und kritische Position. Das Gedicht scheint von einem Gefühl der Frustration und vielleicht auch Entfremdung gegenüber konventionellen nationalistischen Perspektiven bestimmt zu sein.
Inhaltlich äußert das lyrische Ich im Gedicht den Wunsch, von vielen Menschen geehrt und geliebt zu werden, jedoch ohne seinen Stolz und Wert durch Gemeinsamkeit mit Hunderttausend anderen zu trivialisieren. Es reflektiert über die Loyalität zu seinem „großen Vaterland“, dennoch behauptet es, dass er dieses „Volk“ nie wirklich gekannt hat, in dem sein „reinster Wert“ entstand - das deute auf eine kritische Distanz zu der abstrakten Vorstellung vom „Volk“. Es findet stattdessen Bedeutung und Wert in sehr individuellen und intimen Dingen: einem Baum in seiner Heimat, der tief wurzelt und stolz steht. In den Träumen des lyrischen Ich wird die Hoffnung auf echte Befreiung und die Schaffung eines Volkes sichtbar, das seine Werte teilt.
Das Gedicht hat einen klaren, rhythmischen Bau und folgt in vier Strophen demselben Versschema, sowie dem gleichen Reimemuster (Kreuzreim). Die Sprache ist schlicht und unprätentiös, erhält aber durch gezielte Wortwahl („stolz“, „reinster Wert“, „befrein“) und durch das Spiel mit Oppositionen (Individuum – Hunderttausende/ Volk, Ehre und Liebe – Gleichförmigkeit und Entfremdung, Träumen – Wachsein) eine tiefe Bedeutungsschicht. Dehmel nutzt hier die Form des politischen lyrischen Gedichts, um skeptische Fragen über die Ideen von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft zu stellen und stattdessen die Bedeutung von individuellen Erfahrungen und Werten hervorzuheben.
Weitere Informationen
Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „An mein Volk“. Im Jahr 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1893. Erschienen ist der Text in München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 108 Worte. Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Chinesisches Trinklied“, „Dann“ und „Das Gesicht“. Zum Autor des Gedichtes „An mein Volk“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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