Phantasie von Clemens Brentano

Flöte
Stille Blumen,
In der Liebe Heiligtumen
Nicht entsprossen,
Welken nieder.
Süße Lieder,
Ohne Echo hingeflossen,
Kehren nimmer wieder.
 
Klarinette
10 
Doch zeiget der Spiegel im Quelle,
11 
So freundlich und helle,
12 
Das eigne Gebild;
13 
Wie's flüchtig in rastloser Schnelle
14 
Sich eilend geselle,
15 
Und Welle an Welle
16 
Dem Leben entquillt.
 
17 
Fagott
18 
Wohnen nicht klar in mir
19 
Des Geistes Gestalten;
20 
Leben, so will ich Dir
21 
Den Busen entfalten;
22 
Wer den eignen Ton nicht hört,
23 
Lausche, bis er wiederkehrt
24 
Widerschein
25 
Blickt ins dunkle Herz herein.
 
26 
Waldhorn
27 
Des Vorhangs leises Beben
28 
Erschreckt mich nicht,
29 
Und kann ich nicht erstreben
30 
Das eigne Licht:
31 
So wandl' ich schön und stille
32 
Ein Kind dahin:
33 
Mich grüßt durch fromme Hülle
34 
Ein heil'ger Sinn.
 
35 
Alle
36 
Es eilet jed Leben die eigene Bahn;
37 
Es schauet der Spiegel den Menschen nicht an;
38 
Es küsset die Welle die Welle so gerne,
39 
Und reißet vom Ganzen nicht einer sich los;
40 
Doch blüht einem jeden das Ganze im Schoß,
41 
Und tief durch den Schleier, da weht es von ferne.
 
42 
Flöte
43 
Helle Sterne
44 
Blinken aus der weiten Ferne
45 
Fremdes Licht
46 
Und die Tränen,
47 
Die sich nach dem Freunde sehnen,
48 
Siehst Du nicht.
 
49 
Waldhorn
50 
Es wandelt voll Liebe im Leben
51 
Die Sonn' und das Mondlicht herauf;
52 
Doch, wenn wir das eigne nicht geben,
53 
Schließt nimmer der Schatz sich uns auf.
 
54 
Fagott
55 
Was wir suchen, ach, das wohnet,
56 
Unerkannt
57 
Uns im Herzen, unbelohnet;
58 
Und die Hand
59 
Haschet stets nach äußerm Schimmer.
60 
Was wir nicht umfassen,
61 
Das müssen wir lassen;
62 
Denn wir fassen's sicher nimmer.
 
63 
Klarinette
64 
Die ganze Welt
65 
Umwölbet ein Zelt,
66 
Über jeglicher Pforte
67 
Stehn goldne Worte.
68 
Das Aug' der Sonne glühet
69 
Zur Blume, die aufsteht,
70 
Den heißen Gruß;
71 
Auf Mondeslippen blühet
72 
Der Blume, die heimgeht,
73 
Der stille Kuß.
74 
Und wer mit beiden
75 
Nicht kindlich spricht,
76 
Dem leuchtet kein Licht,
77 
Der findet den Ein- und den Ausgang nicht,
78 
Der kann nicht kommen, nicht scheiden.
 
79 
Alle
80 
Und wer sich mit Liebe nicht selber umarmt,
81 
Für den ist das Leben zum Bettler verarmt.
82 
In eigenem Busen muß alles erklingen,
83 
Und daß der Sinn leicht finden es kann,
84 
Hat's viele buntfarbige Kleider an,
85 
Und Hülle und Geist sich zum Leben verschlingen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Phantasie“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
85
Anzahl Wörter
350
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Phantasie“ und stammt von Clemens Brentano, einem bedeutenden deutschen Schriftsteller der Romantik, geboren am 9. September 1778 und gestorben am 28. Juli 1842. Es handelt sich um ein langes Gedicht, das in Versen und mehreren Strophen organisiert ist.

Inhaltlich scheint das lyrische Ich über die Beziehung zwischen dem Selbst und der Umgebung zu reflektieren. Es spricht von Dingen wie der Schönheit der Natur, den Schätzen im eigenen Herzen und der Bedeutung der Selbstliebe. In jeder Strophe gibt das lyrische Ich sprachliche Bilder frei, die auf eine bestimmte Stimmung oder Situation hinweisen.

In der ersten Strophe äußert das lyrische Ich Traurigkeit oder Resignation über unbeantwortete Lieder und welkende Blumen, was negative Emotionen und Vergänglichkeit suggeriert. In den folgenden Strophen wechselt die Stimmung - es gibt Hoffnung, Lebensfreude und Anerkennung der eignen Existenz und Einzigartigkeit. Der reflektierende, eher introspektive Ton des Gedichts trägt zu einer nachdenklichen und melancholischen Atmosphäre bei.

Bemerkenswert ist die Form des Gedichts. Vor jeder Strophe wird ein Musikinstrument genannt wie Flöte, Klarinette, Fagott und Waldhorn. Diese Instrumentennamen könnten sinnbildlich dafür stehen, dass jede Strophe ihren eigenen „Klang“ oder „Rhythmus“ in der Gesamt„dichtung“ oder „Komposition“ des Gedichts hat. Es könnte auch darauf hindeuten, dass das lyrische Ich nach Harmonie in seiner Umgebung und in sich selbst sucht.

Die Sprache des Gedichts ist eher formal und poetisch mit einer gewissen altertümlichen Note, was der Epoche des Autors entspricht. Es gibt viele Metaphern, Symbolik und bildhafte Ausdrücke, was für die Romantik typisch ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Phantasie“ ein lyrisches, reflektierendes und komplexes Gedicht ist, das die Beziehung zwischen dem Selbst und der Welt, zwischen Innen und Außen sowie die Suche nach Harmonie und Selbstliebe thematisiert.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Phantasie“ ist Clemens Brentano. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Im Zeitraum zwischen 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Epoche lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Die Literaturepoche der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die damalige Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Schriftstellern der Romantik zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende zu benennende Motive. Aber auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Zwar baut sie dabei auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das Gedicht besteht aus 85 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 350 Worte. Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „Abschied vom Rhein“, „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“ und „Was reif in diesen Zeilen steht“. Zum Autor des Gedichtes „Phantasie“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 298 Gedichte vor.

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