Ich bin durch die Wüste gezogen von Clemens Brentano
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Ich bin durch die Wüste gezogen, |
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Des Sandes glühende Wogen |
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Verbrannten mir den Fuß, |
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Es haben die Wolken gelogen, |
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Es kam kein Regenguß. |
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Die Sonne trank mir im Zorne |
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Das Wasser aus jeglichem Borne |
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An dem die Reise geruht, |
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Ich dürste, es leckten die Dorne |
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Meiner brennenden Wunden Blut. |
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Ich nahm den erschlagnen Kamelen |
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Das Wasser und Blut aus den Kehlen |
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Zu retten mein Weib und Kind, |
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Die Schätze an Gold und Juwelen |
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Begrub im Sande der Wind. |
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Da wühlt' ich mit glühendem Schwerde |
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Den Kindern manch Grab in die Erde |
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Erwühlte mir keinen Quell, |
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Ob Gott sie wohl finden werde, |
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Die Hyänen heulten grell. |
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Ein Kind unterm Mutterherzen |
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Brach mit ihm, in schreienden Schmerzen |
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Gebar sie es sterbend dem Tod, |
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Es goß gleich glühenden Erzen |
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Die Sonne mir Licht in die Not. |
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Gern hätte ich Tränen getrunken, |
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Die Augen weinten nur Funken, |
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Ich wühlt' noch ein Grab in den Sand, |
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Und bin in Verzweiflung gesunken, |
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Ach weil ich kein Wasser fand. |
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Da ward ich zur wandelnden Leiche, |
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Auf daß ich den Brunnen erreiche, |
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Den letzten auf glühender Bahn, |
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Und wie ich so lechzend hinschleiche. |
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Da brüllen die Tiger mich an. |
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Des Tages glühende Schwelle |
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Verbrannte, da kam ich zur Stelle, |
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Der Brunnen war trocken und tot |
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Es glühte zur Mitternacht helle |
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Der Mond wie Kupfer so rot. |
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Der Tod flog auf aus der Wüste, |
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Und schauderte, da ich ihn grüßte, |
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Und floh, da rief ich ihm zu, |
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Daß einer hier sterben müßte, |
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Er schrie mir: Erst lebe du! |
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Denn sterben heißt Ruhe erwerben |
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Drum kannst du nicht leben nicht sterben |
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Der Durst ist unendlich in dir, |
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Dein Erbteil, das will ich nicht erben |
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So schrie er, und eilte von mir. |
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Und heulend flog der Geselle |
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Wüsteinwärts mit Pfeilesschnelle |
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Der Sand schlug rasselnd um ihm, |
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Da traf mich die glühende Welle |
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Ach, daß ich erblindet bin. |
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O Nacht ohn' Anfang und Ende! |
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Kein Stern, wohin ich mich wende, |
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Kein Bogen, kein Pfeil kein Ziel, |
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Da rang ich betend die Hände, |
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Bis die Decke mir niederfiel. |
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Da fühlt' ich das Ziel mir gekommen |
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Die glühende Leiter erklommen, |
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Ich schrie zu dem bitteren Stern |
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Der Herr hat gegeben, genommen |
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Gelobt sei der Wille des Herrn! |
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Da hört' ich ein Flügelpaar klingen |
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Da hört' ich ein Schwanenlied singen, |
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Und fühlte ein kühlendes Wehn |
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Und sah mit tauschweren Schwingen |
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Einen Engel in der Wüste gehn. |
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Und als ich ihn fragend begrüßte, |
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Sag an, du Engel der Wüste |
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Wie find' ich den Wasserquell? |
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Sprach er: wer treulich büßte, |
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Der steht an der Brunnenschwell'. |
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Sag an, du Engel der Wüste, |
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Und find' ich den Quell, da ich büßte. |
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Wo find' ich Jerusalem |
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Da sprach er: so ich das nicht wüßte. |
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Käm' ich nicht von Bethlehem. |
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So folge nun meinem Gleise, |
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Blind wandeltest du im Kreise, |
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Nach Jerusalem wolltest du, |
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Reich mir die Hand auf der Reise, |
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Du zogst nach Babylon zu. |
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Der Herr trieb tausend Meilen |
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Mich her um dich zu heilen, |
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Zu brechen mein Brot mit dir, |
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Den Becher mit dir auch zu teilen. |
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Wohlauf, nun folge du mir. |
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Und vor ihm kniete ich nieder, |
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Er legte sein tauicht Gefieder |
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Mir kühl um das glühende Haupt, |
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Und sang mir die Pilgerlieder |
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Da hab' ich geliebt und geglaubt. |
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Da sah ich den Himmel wohl offen, |
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Ach Gott! Kühl herniedergetroffen |
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Kam die Gnade, die Segensflut, |
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Da konnte ich endlich auch hoffen, |
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Auf meines Erlösers Blut. |
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Da sang ich, reich treulich die Hände, |
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Die Augen nicht vor meinem Ende, |
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O Schwesterlein von mir |
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Nur nimmer, nimmermehr wende, |
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Du, ich, wir sind nun ein Wir. |
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Ein Tempel sei wo wir knien, |
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Ein Glück sei, für das wir glühen |
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Ein Streit, ein Siegespanier |
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Ein Ort sei, wohin wir ziehen |
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Ein Himmel sei dir und mir. |
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So haben wir da wohl gesungen, |
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Und Hand in Hand da geschlungen |
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Und Flügel in Flügelpaar |
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Uns über die Wüste geschwungen, |
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Die ein Garten voll Segen war. |
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Dies war wohl ein innerlich Sehen |
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Ein innerlich Auferstehen |
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In mir selber erwachte der Geist |
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Die Wüste, das waren die Wehen |
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In denen mein Leben gekreißt. |
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All was ich verloren, begraben, |
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All was ich allein, um zu haben |
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In der heißen Wüste gesucht, |
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Das soll mich im Geiste nun laben, |
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In unverbotener Frucht. |
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O Schimmer, o Lichter, o Farben, |
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O alle ihr goldenen Garben, |
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In Duft, in Sonne, im Tau, |
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Ich schwelge, ich kann nicht mehr darben, |
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Gott grüß' dich mein geistlicher Pfau! |
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Ach alles, was je ich gewesen |
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Kann dir in dem Spiegel ich lesen |
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Kann vor dir in Tränen vergehn |
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Kann vor dir in Reue genesen, |
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Kann mit dir dann auferstehn. |
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Und will dieser Abend verglimmen |
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Laß höher und höher uns klimmen |
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Auf Golgatha sinkt keine Nacht, |
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Es singen da ewige Stimmen |
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Am Kreuze, nun hab' ich vollbracht. |
Details zum Gedicht „Ich bin durch die Wüste gezogen“
Clemens Brentano
28
140
782
1778 - 1842
Romantik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Ich bin durch die Wüste gezogen“ wurde vom deutschsprachigen Autor Clemens Brentano verfasst, der von 1778 bis 1842 lebte. Er gehört zur literarischen Epoche der Romantik.
Auf den ersten Blick hinterlässt das von Brentano verfasste Gedicht einen ernsten und düsteren Eindruck aufgrund des Themas des Überlebens in einer menschenfeindlichen Umgebung wie der Wüste und den Kämpfen und Verlusten, die das lyrische Ich erleiden muss.
Inhaltlich handelt das Gedicht von einer scheinbar endlosen und schmerzvollen Reise des lyrischen Ichs durch die Wüste, wo es zahlreiche Schwierigkeiten und Schicksalsschläge ertragen muss, darunter Durst, Hitze, den Tod seiner Familie und das Ausbleiben jeglicher Hilfe oder Erlösung. Die Drastik der dargestellten Situationen dient als Metapher für menschliche Leiden, Sinnleere und die Suche nach Erlösung.
Formal besteht das Gedicht aus 28 Strophen. Jede dieser Strophen besteht aus fünf Versen. Es besteht kein festes Reimschema und kein festes Metrum, was die Unvorhersehbarkeit und Härte der Reise durch die Wüste unterstreicht. Die Sprache des Gedichts ist sehr bildhaft und verwendet starke, teilweise schockierende Bilder zur Darstellung der Situation des lyrischen Ichs. Dunkle Farben und Motive stehen im starken Kontrast zu den traditionellen hellen und angenehm empfundenen Darstellungen der Natur in der Romantik.
Die Form und die Sprache des Gedichts spiegeln die dunkle Thematik und die Intensität der Erfahrungen des lyrischen Ichs wider. Die durchgehende Metapher der Wüste dient dabei als Symbol für Ausweglosigkeit und Leiden, aber auch für die Möglichkeit der Läuterung und Erkenntnis. Die Reise durch die Wüste kann dabei auch als Metapher für einen spirituellen oder inneren Weg gedeutet werden.
Das lyrische Ich beginnt seine Reise in einem Zustand der Verzweiflung und Ausweglosigkeit, gewinnt aber im Laufe der Reise zunehmend an geistiger Klarheit und Erkenntnis. Diese Wandlung wird unter anderem durch den Wechsel von dunklen und bedrückenden zu strahlenden und hoffnungsvollen Bildern zum Ende des Gedichts verdeutlicht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Brentanos Gedicht stark von der typischen romantischen Sehnsucht nach Transzendenz geprägt ist, die sich hier in der Überwindung von Leiden und der Erlangung spiritueller Erkenntnis durch das lyrische Ich äußert.
Weitere Informationen
Clemens Brentano ist der Autor des Gedichtes „Ich bin durch die Wüste gezogen“. Brentano wurde im Jahr 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Im Zeitraum zwischen 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Bei dem Schriftsteller Brentano handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.
Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende zu benennende Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.
Das 782 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 140 Versen mit insgesamt 28 Strophen. Weitere Werke des Dichters Clemens Brentano sind „Was reif in diesen Zeilen steht“, „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“ und „Im Wetter auf der Heimfahrt“. Zum Autor des Gedichtes „Ich bin durch die Wüste gezogen“ haben wir auf abi-pur.de weitere 298 Gedichte veröffentlicht.
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- Was reif in diesen Zeilen steht
- Wenn der lahme Weber träumt, er webe
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Zum Autor Clemens Brentano sind auf abi-pur.de 298 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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