O schweig nur Herz! von Clemens Brentano

O schweig nur Herz! Die rächende Sibille
Die über deiner Zukunft, Wehe! kreischt,
Den gier'gen Geier, der dich lang zerfleischt,
Bannt ein gottselig Kind, und deckt ganz stille
Die schreinde Wunde dir mit Taubenflügeln,
Weckt dir den Morgenstern auf stummen Hügeln.
 
O schweig nur Herz! Horch Klang von
Engelschwingen
Was zuckst du so, du mußt fein leise tun,
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Wo man dir singet, wie so sanft sie ruhn,
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Die Seligen, dahin wird man dich bringen,
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Sei still, was schreist du, einsam ist kein Leben,
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Kein Grab, schlaf süß, die Liebste träumt daneben.
 
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O schweig nur Herz! Du hast ja nichts besessen,
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Du läßt ja nichts zurück, wem trauerst du?
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Auch deines Himmels Augen fallen zu,
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Doch seiner Liebe Licht strahlt ungemessen
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Brichst du, bricht jenes Herz? Wer bleibt, wird sagen,
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O schönre Lust, halb hier, halb dort zu schlagen!
 
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O schweig mein Herz! Du magst wohl selig
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schweigen,
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Was schreist du nur, dir fiel kein Sünderlos,
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Dich wiegt die Unschuld ohne Graun im Schoß,
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Aus frommen Augen blickt dein Himmelszeichen.
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Sei ihr nicht schwer, sei selig, träume, schwebe,
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Wein' um die Traube nicht, wein' mit der Rebe.
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O schweig nur Herz! Sonst schimpft dich einen
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Raben
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Die Liebste, die nur Tauben Futter giebt,
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O werde rein und fromm, bis sie dich liebt
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Werd' eine Taube, die nur will sie haben.
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O selig! ihr als Taube zu gehören,
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So lange sie sich wird der Raben wehren.
 
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O schweig nur Herz! Und lerne sel'ger schauen
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Als andre in die Huld, die sie umgiebt,
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Daß sie dir mehr als allen andern giebt,
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Das zwinge sie dir einst noch zu vertrauen.
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Schweig, dulde, glaube, hoffe, liebe, baue
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Dein Elend fromm, daß sie dir ganz vertraue!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „O schweig nur Herz!“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
280
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Clemens Brentano, ein deutscher Schriftsteller und Lyriker, der zu den bedeutendsten Vertretern der Heidelberger Romantik zählt. Brentano wurde 1778 geboren und starb 1842, das Gedicht lässt sich daher zeitlich in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einordnen.

Beim ersten Eindruck fällt die wiederholende Aufforderung „O schweig nur Herz!“ auf, sowie die recht düstere und emotional aufgeladene Stimmung. Die Verse sind stark von Bildern und Metaphern geprägt, die auf eine tiefe innere Zerrissenheit und Sehnsucht des lyrischen Ichs hinweisen.

Inhaltlich zeichnet das Gedicht das Bild eines leidenden Herzens, das permanent in Unruhe und innerem Konflikt ist. Das lyrische Ich spricht das Herz direkt an und fordert es dazu auf zu schweigen, um seine Wunden zu heilen und Frieden zu finden. Es wird eine Vision einer besseren, friedvollen Zukunft vorgestellt, in der das Herz Ruhe und Erfüllung findet. Dabei wechselt die Stimmung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Sehnsucht und Resignation.

Die wechselnde Emotionen des lyrischen Ichs spiegeln sich sowohl inhaltlich als auch formal in dem Gedicht wider. Die Strophe 1 und 3 haben jeweils 6 Verse, die zweite Strophe 7 und die vierte sogar 14 Verse. Diese Unregelmäßigkeit in der Verszahl lässt auf die inneren Spannungen des lyrischen Ichs schließen.

Die Sprache des Gedichts ist stark metaphorisch und symbolisch. Die wiederholenden Aufforderungen „O schweig nur Herz!“ und die zahlreichen Bilder (z.B. „Die rächende Sibille“, „Der gier'ge Geier“, „Engelschwingen“, „Himmelszeichen“) unterstreichen die emotional aufgeladene Stimmung. Sie erzeugen eine starke Dramatik und machen das Gedicht zu einem intensiven Ausdruck innerer Zerrissenheit und Sehnsucht nach Frieden und Erfüllung.

Außerdem verwendet Brentano häufig religiöse und spirituelle Begriffe und Konzepte („gottselig Kind“, „Himmels Augen“, „frommen Augen“, „sel'ger schauen“, „fromm“). Dies könnte auf seine intensive Auseinandersetzung mit Religion und Spiritualität hinweisen und seiner Sehnsucht nach innerem Frieden und Erlösung Ausdruck verleihen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Brentanos Gedicht „O schweig nur Herz!“ ein intensiver und emotional aufgeladener Ausdruck innerer Zerrissenheit und Sehnsucht nach Frieden und Erfüllung ist, der durch seine starke Metaphorik und Symbolik eine tiefe Wirkung auf den Leser hat.

Weitere Informationen

Das Gedicht „O schweig nur Herz!“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Im Jahr 1778 wurde Brentano in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. In der Zeit von 1794 bis 1842 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Romantik vorausgegangen waren die Epochen der Weimarer Klassik und der Aufklärung. Die Literaturepoche der Romantik ist zeitlich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einzuordnen. Insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik hatte diese Epoche Auswirkungen. Die Epoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (beginnend im Jahr 1789) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. In der Literatur der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Übel und Missstände dieser Zeit bleiben unberücksichtigt und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist gerade die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Außerdem sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die grundsätzlichen Themen der Epoche waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde ausgedrückt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und gedanklicher Klarheit, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Zwar baut sie dabei auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das 280 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 39 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Die Gedichte „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“, „Was reif in diesen Zeilen steht“ und „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“ sind weitere Werke des Autors Clemens Brentano. Zum Autor des Gedichtes „O schweig nur Herz!“ haben wir auf abi-pur.de weitere 298 Gedichte veröffentlicht.

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