Finkenlied, von neun Groschen Münze von Clemens Brentano
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Finkenlied, von neun Groschen Münze, |
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Kamelgedanken und Überbeinen |
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Vom Gesange lust'ger Finken |
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Durch das Fenster aufgeweckt |
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Lasse ich den Schleier sinken, |
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Der mir meine Seele deckt. |
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Durch des alten Birnbaums Blüten |
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Schaut zwar trüber Himmel her |
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Doch in meiner Brust ist Frieden, |
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Ach wenn's doch der ew'ge wär'. |
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Nein, jetzt kann ich gar nicht trauen |
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Alles scheint mir lieb und gut, |
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Und mir wächst da überm Lauern |
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Auch ein Finkenliedermut. |
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Wie die kleinen Sänger schweben |
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Wie es sehnt und lockt und zirpt. |
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O wie herrlich klingt das Leben |
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Wenn's zu neuem Leben wirbt. |
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Keiner fällt ohn' Gottes Willen |
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Von dem Dach, vom Haupt kein Haar, |
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Und mein Schmerz läßt sich schon stillen, |
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Weil ich einst unschuldig war. |
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Und bin ich gleich abgefallen |
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Fiel ich doch in Gottes Schoß |
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Lieg' da mit den andern allen |
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Heil in seiner Gnade groß. |
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Munter, Herz, schwing dein Gefieder |
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Auf, wohl auf zum Kreuzesbaum |
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Täglich Sonne, täglich Lieder, |
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Alle Nacht ein frommer Traum! |
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Und ein Nest in seine Wunden |
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Meiner Leidensbrut ich bau', |
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Grün liegt seine Erde unten |
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Oben schwebt sein Himmel blau. |
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Und ich seh' auf grüner Aue |
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Eine fromme Magd hinziehn |
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Primlen bricht sie schwer vom Tal, |
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Bis der jüngste Tag erschien. |
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Bricht die Blumen, bricht die Blüte |
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Bricht ihr Herz, die Heilandsfrucht |
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Bietet es dem Gott der Güte |
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Der den dürren Baum verflucht. |
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Und sie spricht mit schwerem |
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Herzen Gestern war mein Leiden schwer, |
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Und ich fragte sie mit Schmerzen |
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Was ihr dann begegnet wär'. |
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Bange zagten meine Ohren, |
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Was sie wohl für Leid angiebt, |
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Weil neun Groschen ich verloren, |
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Sagt sie, bin ich so betrübt. |
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War's Courant? - Ei Gott behüte, |
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Münze war's, dem Herrn sei Dank! |
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O du Spiegel aller Güte! |
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Machst du mich doch freudenkrank. |
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Denk, vom Dache fällt kein Sperling, |
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Ohne Gott, vom Haupt kein Haar, |
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Aus dem Beutel kein Pfund Sterling, |
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Oder auch neun Groschen bar. |
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Denk, was hatt' ich all verloren |
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Leib und Seel und Gut und Heil |
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Alles ward mir neu geboren |
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Und noch mehr ward mir zuteil. |
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Dich zu kennen, dich zu lieben, |
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Dir zu folgen treu und still, |
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Was mir wird, was mir geblieben, |
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Alles ich dir teilen will. |
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Leben, Kämpfen, Siegen, Sterben |
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Abendrot und Morgenrot, |
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Mitleid mit den armen Erben, |
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Ihnen bleibt die Erdennot. |
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Als die Magd mein Lied vernommen |
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Hat sie freundlich mir genickt, |
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Und der Nebel schien verschwommen, |
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Und ein bißchen Sonne blickt. |
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O lieb Herz! um Jesu willen |
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Fasse einen frischen Mut |
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Laß dich doch sein Herzblut stillen |
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Bist ja Pelikanenbrut. |
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Himmel, Himmel werd' doch heiter, |
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Ach, herrje! da regnet's gar! |
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Liebe Finklein, singt doch weiter, |
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Da versteckte sich die Schar. |
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Liebes, liebes Linum denke |
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An neun Groschen Münze nicht. |
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Doch sie spricht: zur Erde senke |
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Ich des Opfers Fruchtgewicht. |
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Doch es nimmt mit meinen Blüten |
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Ja mein Heiland schon vorlieb, |
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Apfel brauch' ich nicht zu hüten |
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Vor dem schlauen Apfeldieb. |
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Als ich sonst mit brünst'gen Ranke |
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Auch auf goldne Frucht gehofft |
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Hatte ich Kamelgedanken |
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Über mich wohl selber oft. |
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Arme Näherin mußt' lesen |
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Vom Kamel und Nadelöhr |
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Und gab dann dem eiteln Wesen |
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Nimmer wieder ein Gehör. |
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Bin jetzt eine arme Made, |
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Matte Fliege, Stäublein klein, |
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Bin ein Ekel, der aus Gnade |
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Höchstens trägt ein Überbein. |
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Wer giebt um solch schlechte Dinge |
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Wohl neun Groschen Münze hin |
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Drum mir mehr verloren gienge, |
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Als ich selber wert ja bin. |
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So' doch ist der armen Made |
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Keine Speise je zu gut, |
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Selbst für Jesu Leib nicht schade, |
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Schade nicht für Jesu Blut. |
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Ja ganz wohl! die matte Fliege |
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Sitzt auf Gottes Angesicht, |
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Wenn ein Engelsflügel schlüge, |
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Er vertriebe sie da nicht. |
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Stäublein klein! o ja! um nimmer |
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Abzutreten von dem Tanz, |
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Sonnenstäubchen tanzen immer |
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Ohn' zu sinken aus dem Glanz. |
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Ei du Ekel! ja ich eckle |
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Seit ich dich im Herzen trug |
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Vor der Welt, an allem mäckle |
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Ich, nur nie an mir genug. |
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Überbeines Gnaden zähle |
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Überige Gnaden ein |
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Überfleisch und Überseele, |
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Überhimmelsschlüsselbein. |
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Wer kann es dem Herrn verdenken |
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Daß er Milde an dir übt, |
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Dir, die ihm ihr Fleisch will schenken, |
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Dafür Überbeine giebt. |
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War doch Eva auch im Schlafe |
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Nur des Adams Überbein, |
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Eva umgekehrt ward Ave, |
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Mögst du auch gegrüßet sein. |
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Und weil ein Kameles Rücken |
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Nur ein großes Überbein, |
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Mag's drum, wenn die Schuh' dich drücken |
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Gotts Kamelgedanken sein. |
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Und so soll mein Mut nicht wanken |
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Wenn er deinen hinken sieht, |
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Also aus Kamelgedanken |
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Sang ich dir dies Finkenlied. |
Details zum Gedicht „Finkenlied, von neun Groschen Münze“
Clemens Brentano
36
142
724
1778 - 1842
Romantik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht, das analysiert werden soll, wurde von Clemens Brentano verfasst, einem der bekanntesten Vertreter der Heidelberger Romantik. Brentano lebte von 1778 bis 1842, womit das Gedicht zeitlich in die Epoche der Romantik eingeordnet werden kann, welche von etwa 1795 bis 1848 dauerte.
Beim ersten Lesen fallen die langen Versketten, die sehr begriffliche und bildhafte Sprache, sowie das religiöse Motiv auf. Im Gesamten kann man sagen, dass das Gedicht auf den ersten Blick recht komplex und anspruchsvoll scheint.
Inhaltlich geht es in dem Gedicht um das lyrische Ich, das seine eigenen Gedanken und Gefühle darstellt, durch die Metapher eines Finkenlieds. Verschiedene Aspekte kommen im Laufe des Gedichtes zur Sprache, wie der Frieden in seiner Brust (Vers 9), Zweifel und Misstrauen (Vers 11-14), die Schönheit des Lebens (Vers 17-18) und der Glaube an Gott (Vers 19-22, 24-26, 28-30 etc.). Durch diese Variation von Gefühlen und Gedanken versucht das lyrische Ich, seine Sicht auf das eigene Leben und auf die Welt zum Ausdruck zu bringen.
Die Form dieses Gedichts ist besonders durch seine komplexe Länge geprägt. Es besteht aus 36 Strophen, wobei jede Strophe vier Verse enthält. Es gibt keine auffällige Reimstruktur oder ein durchgängiges Metrum. Stattdessen sind die Strophen teils in freien Rhythmen verfasst.
Die Sprache des Gedichts ist überwiegend bildhaft und metaphernreich. So wird das Singen des Finken (Vers 1, Vers 14, Vers 142) als Metapher für das lyrische Ich und seine Gefühle eingesetzt. Darüber hinaus kommen zahlreiche religiöse Anspielungen und Symboliken vor, die auf den tiefen Glauben des lyrischen Ichs deuten. Darunter fallen unter anderem die Betonung der Existenz Gottes (Vers 19, Vers 96 etc.) und die Anspielung auf die biblische Eva (Vers 132-134). Besonders auffällig ist das wiederkehrende Motiv der „neun Groschen Münze“ (Vers 1, Vers 50, Vers 85, Vers 104), das möglicherweise eine Metapher für irdischen Besitz oder weltliche Sorgen ist.
Insgesamt zeugt das Gedicht von einer tiefen Innerlichkeit und Reflexivität und liefert einen eindrucksvollen Einblick in die Gedankenwelt des lyrischen Ichs. Durch seine komplexe Form und seine anspruchsvolle Sprache fordert es den Leser heraus und ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Glauben, Leben und Identität.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Finkenlied, von neun Groschen Münze“ ist Clemens Brentano. Der Autor Clemens Brentano wurde 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1794 bis 1842 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.
Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis spät in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte Auswirkungen auf Literatur, Kunst, Musik und Philosophie jener Zeit. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. Im gesamten Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichzeitig bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. Bedeutende Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Andere Motive sind das Fernweh, die Todessehnsucht oder das Nachtmotiv. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Quelle der Liebe. Typische Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Vertretern der Romantik wieder geschätzt. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken ist zu beobachten.
Das 724 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 142 Versen mit insgesamt 36 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Clemens Brentano sind „O Traum der Wüste, Liebe, endlos Sehnen“, „Was reif in diesen Zeilen steht“ und „Wenn der lahme Weber träumt, er webe“. Zum Autor des Gedichtes „Finkenlied, von neun Groschen Münze“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 298 Gedichte vor.
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Zum Autor Clemens Brentano sind auf abi-pur.de 298 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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