Was bleibt von Annette von Droste-Hülshoff

Seh ich ein Kind zur Weihnachtsfrist,
Ein rosig Kind mit Taubenaugen,
Die Kunde von dem kleinen Christ
Begierig aus den Lippen saugen,
Aufhorchen, wenn es rauscht im Tann,
Ob draußen schon sein Pferdchen schnaube:
»O Unschuld, Unschuld«, denk' ich dann,
Du zarte, scheue, flücht'ge Taube!
 
Und als die Wolke kaum verzog,
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Studenten klirrten durch die Straßen,
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Und: »Vivat Bona!« donnert's hoch,
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So keck und fröhlich sonder Maßen;
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Sie scharten sich wie eine Macht,
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Die gegen den Koloß sich bäume:
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»O Hoffnung«, hab' ich da gedacht,
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»Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!«
 
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Und ihnen nach ein Reiter stampft,
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Geschmückt mit Kreuz und Epaulette,
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Den Tschako lüftet er, es dampft
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Wie Öfen seines Scheitels Glätte;
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Kühn war der Blick, der Arm noch stramm,
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Doch droben schwebt' der Zeitenrabe:
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Da schien mir Kraft ein Meeresdamm,
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Den jeder Pulsschlag untergrabe.
 
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Und wieder durch die Gasse zog
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Studentenhauf, und vor dem Hause
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Des Rektors dreimal »Hurra hoch!«
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Und wieder »Hoch!« - aus seiner Klause,
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In Zipfelmütze und Flanell,
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Ein Schemen nickt am Fensterbogen.
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»Ha«, dacht ich, »Ruhm, du Mordgesell,
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Kömmst nur als Leichenhuhn geflogen!«
 
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An meine Wange haucht' es dicht,
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Und wie das Haupt ich seitwärts regte,
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Da sah ich in das Angesicht
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Der Frau, die meine Kindheit pflegte,
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Dies Antlitz wo Erinnerung
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Und werte Gegenwart sich paaren:
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»O Liebe«, dacht ich, »ewig jung,
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Und ewig frisch bei grauen Haaren!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Was bleibt“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
225
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Was bleibt“ stammt von der deutschen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die im 19. Jahrhundert lebte. Diese Epoche wird oft als Biedermeier bzw. Vormärz in der Literaturgeschichte einordnet.

Auf den ersten Eindruck hin lässt das Gedicht eine melancholische, nachdenkliche Stimmung erkennen. Es wirkt als reflektiere das lyrische Ich introspektiv auf verschiedene Phasen des Lebens und bewertet ihre Haltbarkeit und Bedeutung.

Das lyrische Ich in diesem Gedicht betrachtet verschiedene Szenen oder Momentaufnahmen und reflektiert über das, was in diesen Momenten scheinbar wichtig und stetig ist. Es beleuchtet unterschiedliche Etappen des Lebens: die Unschuld eines Kindes während der Weihnachtszeit, die Hoffnung und das Selbstbewusstsein junger Studenten, die Kraft und der Mut eines Reiters in Uniform, der Ruhm und die Anerkennung symbolisiert durch die Studenten, die vor dem Haus des Rektors jubeln, und schließlich die unvergängliche Liebe, die in der Erinnerung an eine Pflegekraft aus der Kindheit zu finden ist.

Das lyrische Ich möchte dem Leser vermitteln, dass bestimmte Momente, Gefühle oder Zustände flüchtig und vergänglich sind. Es nutzt Metaphern und Vergleiche, um die Flüchtigkeit der Unschuld, der Hoffnung, der Kraft und des Ruhmes darzustellen. Das lyrische Ich zeigt, dass diese Zustände durch die Zeit und Veränderungen ihrer Natur nach verloren gehen. Die einzig dauerhafte Konstante, die es nennt, ist die Liebe, die es als „ewig jung“ und „ewig frisch“ beschreibt.

Das Gedicht hat fünf Strophen zu jeweils acht Versen, gleichbleibend. Die Sprache ist reich an Bildern und Metaphern und die Wortwahl spiegelt die Gefühle und Erkenntnisse der jeweiligen Phase wider - von der „zarten, scheuen, flücht'gen Taube“ bis hin zum „Leichenhuhn“.

Das Gedicht ist jedoch nicht durch Reim oder ein spezifisches Metrum gebunden. Doch durch die ausdrucksvolle Bildsprache und die emotionale Tiefe bietet es dem Leser ein eindrückliches Leseerlebnis. Es hinterfragt menschliche Werte und deren Beständigkeit in einer sich ständig verändernden Welt und findet in der Liebe den einzigen anhaltenden Wert.

Weitere Informationen

Annette von Droste-Hülshoff ist die Autorin des Gedichtes „Was bleibt“. Droste-Hülshoff wurde im Jahr 1797 geboren. Zwischen den Jahren 1813 und 1848 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Biedermeier kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Bei Droste-Hülshoff handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 225 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere Werke der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff sind „Der Schloßelf“, „Bajazet“ und „Der Barmekiden Untergang“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Was bleibt“ weitere 123 Gedichte vor.

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