Der Knabe im Moor von Annette von Droste-Hülshoff

O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Haiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt –
O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
 
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
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Und rennt, als ob man es jage;
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Hohl über die Fläche sauset der Wind –
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Was raschelt drüben am Hage?
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Das ist der gespenstige Gräberknecht,
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Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
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Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
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Hinducket das Knäblein zage.
 
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Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
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Unheimlich nicket die Föhre,
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Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
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Durch Riesenhalme wie Speere;
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Und wie es rieselt und knittert darin!
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Das ist die unselige Spinnerin,
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Das ist die gebannte Spinnlenor’,
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Die den Haspel dreht im Geröhre!
 
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Voran, voran, nur immer im Lauf,
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Voran, als woll’ es ihn holen;
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Vor seinem Fuße brodelt es auf,
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Es pfeift ihm unter den Sohlen
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Wie eine gespenstige Melodei;
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Das ist der Geigenmann ungetreu,
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Das ist der diebische Fiedler Knauf,
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Der den Hochzeitheller gestohlen!
 
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Da birst das Moor, ein Seufzer geht
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Hervor aus der klaffenden Höhle;
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Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
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„Ho, ho, meine arme Seele!“
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Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
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Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’,
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Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
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Ein Gräber im Moorgeschwehle.
 
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Da mählich gründet der Boden sich,
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Und drüben, neben der Weide,
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Die Lampe flimmert so heimathlich,
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Der Knabe steht an der Scheide.
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Tief athmet er auf, zum Moor zurück
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Noch immer wirft er den scheuen Blick:
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Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
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O, schaurig war’s in der Haide!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Der Knabe im Moor“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
283
Entstehungsjahr
1841/42
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Knabe im Moor“ stammt von der deutschen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und wirkte. Sie gehört zur literarischen Epoche der Spätromantik.

Die finstere Atmosphäre, die das Gedicht erzeugt, fällt zuerst ins Auge. Es erzählt die Geschichte eines jungen Knaben, der sich alleine in ein Moor wagt. Dieses wird als düsterer, bedrohlicher Ort dargestellt, in dem Geister und Phantomgestalten hausen. Angst und Schrecken begleiten den Jungen auf seinem Weg.

Die Naturelemente im Moor werden als bedrohlich und unheimlich dargestellt. Das lyrische Ich, der Knabe, fühlt sich von ihnen verfolgt und bringt sie mit übernatürlichen Gestalten und Gebeinissen in Verbindung: etwa dem „gespenstigen Gräberknecht“ oder der „gebannten Spinnerin“. Seine Fantasie projiziert Schauergestalten in das natürliche Umfeld und in jedem Geräusch vermutet es eine Gefahr.

Die Form des Gedichts ist einheitlich, jede Strophe besteht aus acht Versen. Die einfache Sprache folgt keinem festen Reimschema, aber es gibt ab und zu Reime, die den Lesefluss begünstigen. Das wiederholte „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn“ betont die Ängstlichkeit und Furcht des lyrischen Ichs und fördert die düstere Atmosphäre des Gedichts.

Die Sprachbilder sind eindrucksvoll und fangen die unheimliche Stimmung des Moors ein. Die Metaphern und Vergleiche, wie zum Beispiel der Jungen, der „wie ein wundes Reh“ springt, intensivieren die Angst und Verwirrung des Protagonisten und lassen den Leser an den Gefühlen des Knaben teilhaben.

Insgesamt wird das Gedicht durch die düsteren Metaphern und Vergleiche zur Allegorie auf das Erwachsenwerden, in dem man sich seinen Ängsten stellen und diese überwinden muss. Es illustriert eindrücklich das kindliche Gemüt, welches sich stark durch Fantasie und Emotionen ausdrückt und somit die Realität verzerrt wahrnimmt. Der Protagonist stellt am Ende des Gedichts erleichtert fest, dass er die Schrecken des Moors überstanden, und es somit in die sicher wirkende, erleuchtete Häuslichkeit geschafft hat.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Der Knabe im Moor“ ist Annette von Droste-Hülshoff. 1797 wurde Droste-Hülshoff geboren. 4142 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Biedermeier kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Die Schriftstellerin Droste-Hülshoff ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 283 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Die Gedichte „Bajazet“, „Der Barmekiden Untergang“ und „Der Mutter Wiederkehr“ sind weitere Werke der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Zur Autorin des Gedichtes „Der Knabe im Moor“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 123 Gedichte vor.

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