Kurt von Spiegel von Annette von Droste-Hülshoff

O frommer Prälat, was ließest so hoch
Des Marschalks frevlen Mut du steigen!
War's seine Gestalt deren Adel dich trog,
Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?
O frommer Bischof, wie war dir zu Mut,
Als rauchend am Anger unschuldiges Blut
Verklagte, verklagte dein zögerndes Schweigen!
 
Am Wewelsberge schallt Wald-Hurra,
Des Rosses Flanke schäumt über den Bügel,
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Es keucht der Hirsch, und dem Edelwild nah,
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Ein flüchtiger Dogge, keucht Kurt von Spiegel;
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Von Turmes Fahne begierig horcht
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Der arme Tüncher, und unbesorgt
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Hält in der Hand er den bröckelnden Ziegel.
 
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Da horch! Halali! das Treiben ist aus,
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Des Hirsches einzige Träne vergossen,
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Ein Hörnerstoß durch das waldige Haus
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Vereint zum Geweide die zott'gen Genossen,
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Und bald aus der nickenden Zweige Geleit
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Die Treiber so stumm, die Ritter so breit,
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Ziehn langsam daher mit den stöhnenden Rossen.
 
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Der Spiegel spornt sein rauchendes Tier,
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»Verfluchte Kanaille, du hast mich bestohlen!«
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Da sieht er, hoch an des Turmes Zimier,
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Den armen Tüncher auf schwankenden Bohlen.
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»Ha«, murrt er, »heute nicht Beute noch Schuß,
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Nie kam ich noch wieder mit solchem Verdruß,
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Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!«
 
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Der Tüncher sieht wie er blinzelt empor,
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Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,
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Da sieht er drunten visieren das Rohr,
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Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;
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Getroffen, getroffen! - er schaukelt, er dreht,
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Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgerät
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Kollert er nieder zum rasigen Streifen.
 
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Als träf' ihn selber das Todesgeschoß
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So zuckt der Prälat, seine Augen blitzen,
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»Marschalk!« stöhnt er, die Stirne wird naß,
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Am schwellenden Halse zittern die Spitzen,
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Dann fährt auf die Wange ein glühendes Rot,
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Und »Marschalk!« ruft er, »das bringt dir den Tod!
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Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!«
 
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Doch lächelnd der Spiegel vom Hengste schaut,
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Er lächelt umher auf die bleichen Vasallen:
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»Mein gnädigster Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,
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Eur Dräuen möchte im Winde verhallen!«
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Dann wendet er rasch, im sausenden Lauf
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Durchs Tor und die donnernde Brücke hinauf.
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Zu spät, zu spät sind die Gitter gefallen!
 
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Im Dome zu Paderborn ist verhallt
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Das Sterbegeläute des alten Prälaten,
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Und wieder im Dom hat Kapitels Gewalt
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Den neuen Beherrscher gewählt und beraten.
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Stumm fährt das Gebirg' und die Felder hinein
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Der neue Bischof zur Wewelsburg ein,
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Geleitet von summenden Volkskomitaten.
 
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Und als nun über die Brücke er rollt,
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Und sieht die massigen Türme sich strecken,
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Wie ihm im Busen es zittert und grollt!
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An seiner Inful - o brandiger Flecken!
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Des Spiegels Blut in dem Ahnenbaum hell!
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Leis seufzet er auf, dann murmelt er schnell:«
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Herr Truchseß, laßt unsre Tafel nun decken.«
 
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Es kreisen die Becher beim Böllergeknall,
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Die stattlichen Ritter, die artigen Damen,
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Sich schleudernd des Witzes anmutigen Ball,
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Fast von der Stirne die Falten ihm nahmen;
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Da horch! im Flure ein Schreiten in Eil;
69 
Es knarren die Türen, es steht eine Säul',
70 
Der Spiegel, der blutige Marschalk, im Rahmen!
 
71 
Der Bischof schaut wie ein Laken so bleich,
72 
Im weiten Saal keines Odems Verhallen
73 
Ans Auge schlägt er die Rechte sogleich,
74 
Und langsam läßt er zur Seite sie fallen.
75 
Dann seufzt er hohl und düster und schwer:
76 
»Kurt! - Kurt von Spiegel, wie kömmst du daher!
77 
Greift ihn, ergreift ihn, ihr meine Vasallen!«
 
78 
Kein Sünderglöckchen geläutet ward,
79 
Kein Schandgerüst sah man zimmern und tragen,
80 
Doch sieben Schüsse die knatterten hart,
81 
Und eine Messe hörte man sagen.
82 
Der Bischof schaut' auf den blutigen Stein,
83 
Dann murmelt' er sacht ins Breve hinein:
84 
»Es ist doch schwer eine Inful zu tragen!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.3 KB)

Details zum Gedicht „Kurt von Spiegel“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
84
Anzahl Wörter
579
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Kurt von Spiegel“ wurde von der deutschen Dichterin und Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff verfasst, die von 1797 bis 1848 lebte. Sie ist eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts und gilt als Vertreterin der literarischen Strömungen der Biedermeierzeit und des poetischen Realismus.

Der erste Eindruck des Gedichts ist geprägt von einer intensiven Atmosphäre und schweren Thematik, die durch eine reiche und bildreiche Sprache getragen und verstärkt wird.

Die lange Ballade erzählt die Geschichte eines Mannes namens Kurt von Spiegel, einem frevelhaften Marschall, der in der Gunst eines frommen Prälaten steht. Während der Jagd schießt er auf einen Maurer, der auf einem Turm arbeitet, und tötet ihn aus reiner Laune heraus. Der Marschall entgeht zunächst den Konsequenzen seiner Tat und entkommt. Der Prälat, der sich schockiert zeigt, stirbt und wird ersetzt. Als der Marschall schließlich zurückkehrt, wird er in Anwesenheit des neuen Bischofs zur Rechenschaft gezogen und hingerichtet.

Die Worte des lyrischen Ich kommentieren das Geschehen aus einer distanzierten Perspektive und üben Kritik am Verhalten sowohl des Marschalls als auch des Prälaten. Der Marschall wird als gewissenlos und tyrannisch dargestellt, während der Prälat, obwohl er als „fromm“ bezeichnet wird, durch sein Zögern und Schweigen zum Mittäter des Verbrechens wird. Auch der neue Bischof wird kritisch betrachtet, da er angesichts der Hinrichtung des Marschalls äußert, wie schwer es ist, eine Inful zu tragen - also die Verantwortung für sein Bischofsamt.

In Bezug auf Struktur und Form besteht das Gedicht aus zwölf Strophen mit jeweils sieben Versen. Es ist im Reimschema ABABCCB geschrieben, was einen melodischen Fluss erzeugt. Die Sprache des Gedichts zeichnet sich durch eine reiche, bildreiche und detailreiche Diktion aus, die sowohl die physische Landschaft als auch die emotionalen Zustände der Charaktere ausführlich beschreibt. Intensität und Spannungsbogen werden durch geschickte Verwendung rhythmischer, klanglicher und syntaktischer Mittel aufrechterhalten und gesteigert.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Kurt von Spiegel“ der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Geboren wurde Droste-Hülshoff im Jahr 1797 . Im Zeitraum zwischen 1813 und 1848 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Biedermeier zuordnen. Bei Droste-Hülshoff handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das 579 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 84 Versen mit insgesamt 12 Strophen. Die Gedichte „Letzte Worte“, „Im Grase“ und „An meine Mutter“ sind weitere Werke der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Zur Autorin des Gedichtes „Kurt von Spiegel“ haben wir auf abi-pur.de weitere 123 Gedichte veröffentlicht.

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