Der Schloßelf von Annette von Droste-Hülshoff

In monderhellten Weihers Glanz
Liegt brütend wie ein Wasserdrach'
Das Schloß mit seinem Zackenkranz,
Mit Zinnenmoos und Schuppendach.
Die alten Eichen stehn von fern;
Respektvoll flüsternd mit den Wellen,
Wie eine graue Garde gern
Sich mag um graue Herrscher stellen.
 
Am Tore schwenkt, ein Steinkoloß,
10 
Der Pannerherr die Kreuzesfahn',
11 
Und kurbettierend schnaubt sein Roß
12 
Jahrhunderte schon himmelan;
13 
Und neben ihm, ein Tantalus,
14 
Lechzt seit Jahrhunderten sein Docke
15 
Gesenkten Halses nach dem Fluß,
16 
Im dürren Schlunde Mooses Flocke.
 
17 
Ob längst die Mitternacht verklang,
18 
Im Schlosse bleibt es immer wach;
19 
Streiflichter gleiten rasch entlang
20 
Den Korridor und das Gemach,
21 
Zuweilen durch des Hofes Raum
22 
Ein hüpfendes Laternchen ziehet;
23 
Dann horcht der Wandrer, der am Saum
24 
Des Weihers in den Binsen knieet.
 
25 
»Ave Maria! stärke sie!
26 
Und hilf ihr über diese Nacht!«
27 
Ein frommer Bauer ist's, der früh
28 
Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.
29 
Wohl weiß er, was der Lichterglanz
30 
Mag seiner gnäd'gen Frau bedeuten;
31 
Und eifrig läßt den Rosenkranz
32 
Er durch die schwiel'gen Finger gleiten.
 
33 
Doch durch sein christliches Gebet
34 
Manch Heidennebel schwankt und raucht;
35 
Ob wirklich, wie die Sage geht,
36 
Der Elf sich in den Weiher taucht,
37 
Sooft dem gräflichen Geschlecht
38 
Der erste Sprosse wird geboren?
39 
Der Bauer glaubt es nimmer recht,
40 
Noch minder hätt' er es verschworen.
 
41 
Scheu blickt er auf - die Nacht ist klar,
42 
Und gänzlich nicht gespensterhaft,
43 
Gleich drüben an dem Pappelpaar
44 
Zählt man die Zweige längs dem Schaft;
45 
Doch stille! In dem Eichenrund
46 
Sind das nicht Tritte? - Kindestritte?
47 
Er hört wie an dem harten Grund
48 
Sich wiegen, kurz und stramm, die Schritte.
 
49 
Still! still! es raschelt übern Rain,
50 
Wie eine Hinde, die im Tau,
51 
Beherzt gemacht vom Mondenschein,
52 
Vorsichtig äßet längs der Au.
53 
Der Bauer stutzt - die Nacht ist licht,
54 
Die Blätter glänzen an dem Hagen,
55 
Und dennoch - dennoch sieht er nicht,
56 
Wen auf ihn zu die Schritte tragen.
 
57 
Da, langsam knarrend, tut sich auf
58 
Das schwere Heck zur rechten Hand,
59 
Und, wieder langsam knarrend, drauf
60 
Versinkt es in die grüne Wand.
61 
Der Bauer ist ein frommer Christ;
62 
Er schlägt behend des Kreuzes Zeichen;
63 
»Und wenn du auch der Teufel bist,
64 
Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!«
 
65 
Da hui! streift's ihn, federweich,
66 
Da hui! raschelt's in dem Grün,
67 
Da hui! zischt es in den Teich,
68 
Daß bläulich Schilf und Binsen glühn,
69 
Und wie ein knisterndes Geschoß
70 
Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;
71 
Im Augenblicke wo vom Schloß
72 
Ein Schrei verzittert überm Weiher.
 
73 
Der Alte hat sich vorgebeugt,
74 
Ihm ist als schimmre, wie durch Glas,
75 
Ein Kindesleib, phosphorisch, feucht,
76 
Und dämmernd wie verlöschend Gas;
77 
Ein Arm zerrinnt, ein Aug' verglimmt
78 
Lag denn ein Glühwurm in den Binsen?
79 
Ein langes Fadenhaar verschwimmt,
80 
Am Ende scheinen's Wasserlinsen!
 
81 
Der Bauer starrt, hinab, hinauf,
82 
Bald in den Teich, bald in die Nacht;
83 
Da klirrt ein Fenster drüben auf,
84 
Und eine Stimme ruft mit Macht:
85 
»Nur schnell gesattelt! schnell zur Stadt!
86 
Gebt dem Polacken Gert' und Sporen!
87 
Viktoria! soeben hat
88 
Die Gräfin einen Sohn geboren!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Schloßelf“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
488
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht namens „Der Schloßelf“ wurde von Annette von Droste-Hülshoff, einer prominenten deutschen Schriftstellerin der Romantik und Biedermeier, verfasst. Sie lebte von 1797 bis 1848, daher lässt sich das Gedicht in diese Zeitperiode einordnen.

Auf den ersten Eindruck wird in dem Gedicht eine geheimnisvolle und spannungsreiche Atmosphäre erzeugt, die durch bildhafte Sprache und aktivierende Handlungen verstärkt wird.

In Bezug auf den Inhalt: Das Gedicht erzählt die Geschichte von einem alten Schloss in der Nacht, das nach der Sage von einem Elfen bewohnt wird. Die Strophen beschreiben das Schloss und die Umgebung, die Strophen 4 und 5 widmen sich einem frommen Bauern, der auf eine nächtliche Wallfahrt geht. Er weiß von der Sage, glaubt aber nicht so recht an ihre Wahrheit und versteckt seine Skepsis in seinem Gebet. Während seiner Wallfahrt erlebt er jedoch heimlich das magische Geschehen, als der Elf in den Weiher taucht, unmittelbar bevor im Schloss ein Kind geboren wird.

Die Aussagen des lyrischen Ich liegen eher in der Beschreibung der Szenen und der Überzeugungen und Reaktionen des Bauern. Es erzeugt eine Atmosphäre von Ungewissheit und Faszination und überbringt die Botschaft von der Kraft und der Unvorhersehbarkeit des Unbekannten und Übernatürlichen.

Was die Form und Sprache des Gedichts angeht, bestehen die Strophen aus acht Versen, das Reimschema ist unregelmäßig. Es wird eine romantische, teils altertümliche Sprache verwendet, die zur Sagen- und Mystik-Welt des Gedichts passt. Die Sprache ist bildlich und metaphorisch, wodurch die Natur und das Schloss lebendig und eindrucksvoll dargestellt werden. Die dynamische Action („hui!“) und die Darstellung der Nacht und des Wetters tragen dazu bei, eine Sinneseindruck der Szene zu erzeugen und eine atmosphärische Stimmung zu vermitteln. Der Ausdruck und die Verwendung von direkter Rede bieten Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Charaktere und dienen dazu, die Erzählung und das Thema des Gedichts weiter voranzutreiben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Der Schloßelf“ ein bezauberndes Gedicht ist, das die Romantik und das Übersinnliche der Sage mit der Realität und der Skepsis des Bauern auf eine fesselnde Weise verbindet. Es lässt den Leser in eine Welt eintauchen, die gleichzeitig verträumt und realistisch ist, und regt zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Glaube und Realität an. Dies zeigt sich auch in der detaillierten und bildhaften Sprache, die dieses Gedicht kennzeichnet.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Der Schloßelf“ ist Annette von Droste-Hülshoff. Im Jahr 1797 wurde Droste-Hülshoff geboren. In der Zeit von 1813 bis 1848 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Biedermeier kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Bei der Schriftstellerin Droste-Hülshoff handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 488 Worte. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Annette von Droste-Hülshoff sind „Bajazet“, „Der Barmekiden Untergang“ und „Der Mutter Wiederkehr“. Zur Autorin des Gedichtes „Der Schloßelf“ haben wir auf abi-pur.de weitere 123 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Annette von Droste-Hülshoff

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Annette von Droste-Hülshoff und seinem Gedicht „Der Schloßelf“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Annette von Droste-Hülshoff (Infos zum Autor)

Zum Autor Annette von Droste-Hülshoff sind auf abi-pur.de 123 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.