Der Lieblingsbaum von Conrad Ferdinand Meyer
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Den ich pflanzte, junger Baum, |
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Dessen Wuchs mich freute, |
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Zähl ich deine Lenze, kaum |
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Sind es zwanzig heute. |
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Oft im Geist ergötzt es mich, |
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Über mir im Blauen, |
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Schlankes Astgebilde, dich |
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Mächtig auszubauen. |
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Lichtdurchwirkten Schatten nur |
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Legst du auf die Matten, |
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Eh du dunkel deckst die Flur, |
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Bin ich selbst ein Schatten. |
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Aber haschen soll mich nicht |
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Stygisches Gesinde, |
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Weichen werd ich aus dem Licht |
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Unter deine Rinde. |
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Frische Säfte rieseln laut, |
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Rieseln durch die Stille, |
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Um mich, in mir webt und baut |
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Ew'ger Lebenswille. |
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Halb bewußt und halb im Traum |
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Über mir im Lichten |
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Werd ich, mein geliebter Baum, |
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Dich zu Ende dichten. |
Details zum Gedicht „Der Lieblingsbaum“
Conrad Ferdinand Meyer
6
24
104
1825 - 1898
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Lieblingsbaum“ wurde von Conrad Ferdinand Meyer verfasst, der im 19. Jahrhundert lebte und wirken konnte. Meyer gehörte zur Epoche des Realismus und er ist uns besonders aufgrund seiner präzisen und bildreichen Sprache in Erinnerung geblieben.
Bei einer ersten Betrachtung lässt das Gedicht einen ruhigen, fast meditativen Eindruck entstehen. Dieser wird durch die Zahl der sechs gleich aufgebauten Strophen mit jeweils vier Versen unterstützt, was für Struktur und Klarheit sorgt.
Im Gedicht selbst wird die Verbindung zwischen dem lyrischen Ich und einem von ihm gepflanzten Baum thematisiert. Der Baum kommt dabei stellvertretend für den Kreislauf des Lebens zum Einsatz und durch diese Metaphorik wird Natur zu einem Spiegel menschlicher Existenz. Die Lebensspanne des Baumes steht dabei synonym für die Vergänglichkeit des lyrischen Ichs, das verdeutlicht, wie schnell die Zeit vergeht. Der lyrische Sprecher zeigt sein Bewusstsein für den Lebenszyklus und die Natur, er findet Trost und Zuflucht in der Kontinuität des Baumes, die ihm Halt und Lebenskraft spendet.
Die Sprache des Gedichts zeichnet sich durch einfache, aber dennoch bildreiche und sehr lyrische Ausdrücke aus. Einige Formulierungen sind metaphorisch, zum Beispiel „Lichtdurchwirkten Schatten“ oder „rieseln Frische Säfte“. Andere hingegen neigen zur Anthromorphisierung des Baumes, da dem Baum menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Dennoch bleibt der Ausdruck persönlich und der Stil insgesamt ist eher einfach gehalten. Die Form des Gedichts mit den gleichförmigen Strophen und der ausgewogenen Verszahl verleiht dem Ganzen, kombiniert mit dem Inhalt, ein Gefühl von Kontinuität und Ewigkeit, was den Gedanken des Kreislaufs und der Kontinuität des Lebens weiter verstärkt.
Die letzte Strophe spricht für ein hohes Maß an Selbstreflexivität seitens des lyrischen Ichs und vollzieht den Übergang von der existenziellen Betrachtung des Lebens zur literarischen Gestaltung: „Werd ich, mein geliebter Baum, / Dich zu Ende dichten“. Hier zeigt sich die poetische Schöpferkraft im Werk von Meyer – aus der Sicht des lyrischen Ichs wird der Prozess des Dichtens als ein fortlaufendes Werk betrachtet, das seinen Abschluss in einer finalen Dichtung findet.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Lieblingsbaum“ des Autors Conrad Ferdinand Meyer. 1825 wurde Meyer in Zürich geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1841 und 1898. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Meyer ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 104 Worte. Der Dichter Conrad Ferdinand Meyer ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Füße im Feuer“, „Fülle“ und „Gespenster“. Zum Autor des Gedichtes „Der Lieblingsbaum“ haben wir auf abi-pur.de weitere 80 Gedichte veröffentlicht.
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