Venus Mors von Richard Dehmel

Eine rote Feuerlilie schreitet
riesig durch die Weltennacht.
Von der Sonne bis zum Sirius breitet
sich ihr Scharlachkelch. Der Schacht
des gezähnten Schlundes kocht von Gluten,
düster flammt des Rachens Zackenfirne;
um die wirbelnden Gestirne
schlingt sie hungrig ihre Samenruten.
 
Gelb aufzüngelnd schlürft sie die getrennten
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Welten gierig in den wilden Schooß,
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aus den schwarzen Firmamenten
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ringen Sonne, Sirius sich los;
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lodernd sehn sie die Unendlichkeiten
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ihrer alten Sehnsucht überbrückt,
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aus den Angeln wanken sie verzückt,
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zu einander stürzen die befreiten.
 
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Taumelnd folgen, brodeln, glühen
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ringsum die Trabantenlüfte;
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aus der brennenden Lilie sprühen
20 
Lavastürme durch die Himmelsgrüfte.
21 
Auf der Erde ras’t ihr Licht als Mord,
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sengend frißt es Wälder, Ströme, Quellen,
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Asche trieft aus blendenden Wolkenhöllen,
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alle Kreatur verdorrt.
 
25 
Nur ein Brautpaar will noch fühlend enden,
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keuchend, schon erblindet beide;
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mit den heißen Liebeshänden
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nestelt er an ihrem Kleide.
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Aber in der Nacht der Seele
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wird der grelle Durst zur Wut;
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wühlend wittert er ihr Blut,
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beißt er, schlürft er sich in ihre Kehle.
 
33 
Alles saugt der große Flammenschlund,
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kreisend will er überschäumen,
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rissig klafft der zuckende Muttermund,
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Dämpfe bersten, Feuerpollen säumen
37 
den zerfetzten Riesenblütenrand,
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eine neue Welt entrollt der toten,
39 
strahlend quillt sie aus dem morgenroten
40 
furchtbar’n Siriusliebestodesbrand.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Venus Mors“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
201
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Venus Mors“ wurde von Richard Dehmel verfasst, einem namhaften Vertreter des deutschen Naturalismus und Impressionismus. Dehmel war von 1863 bis zu seinem Tod im Jahr 1920 aktiv, daher lässt sich das Gedicht zeitlich in diese Epoche einordnen.

Auf den ersten Blick werden wir von bildhafter und intensiver Sprache überwältigt, die eine abstrakte und apokalyptische Vision deutlich zum Vorschein bringt. Durch die bildstarken und ausdrucksstarken Beschreibungen wirkt das Gedicht dramatisch und emotional aufgeladen.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht eine kosmologische Katastrophe, die metaphorisch im Vergleich zur roten Feuerlilie steht. Vom lyrischen Ich wird eine apokalyptische Szenerie skizziert, in der Welten verschlungen werden und ins Chaos stürzen. Insbesondere werden Bilder des Todes und der Zerstörung, aber auch der Wiedergeburt und Erneuerung gezeichnet. Letztlich wird im finalen Vers eine „neue Welt“ aus der Asche der vorherigen geboren.

Die Aussage des lyrischen Ichs scheint hierbei eine Betrachtung von Tod, Wiedergeburt, Zerstörung und Creation in einem zyklischen Universum zu sein. Dies wird durch die wiederholt auftretenden Elemente des Feuers als Zeichen der Zerstörung und Wiedergeburt hervorgehoben.

In Bezug auf Form und Sprache zeigt das Gedicht eine kohärente Struktur, jede der fünf Strophen besteht aus acht Versen. Die Sprache ist reich an starken Metaphern und sinnlichen Bildern, die die Apokalypse lebendig darstellen. Die Sprache und Metaphorik sind insgesamt sehr expressiv und emotionell aufgeladen und tragen so zur Gesamtstimmung des Gedichts bei.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Venus Mors“ ein geheimnisvolles und intensives Gedicht ist, das sich mit Konzepten von Tod und Wiedergeburt auseinandersetzt. Eingebettet in eine apokalyptische Vision zeigt es eine einzigartige Sicht auf den Lebenszyklus des Universums und lässt Raum für vielfältige Interpretationen und Gedanken.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Venus Mors“. Dehmel wurde im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei dem Schriftsteller Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 201 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Die Gedichte „Bann“, „Bastard“ und „Bitte“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Venus Mors“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.

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