Sorge von Otto Ernst
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Willkommen, stiller Mond, im Schlafgemach! |
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Gieß deine Lichtflut neben mich aufs Kissen |
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Und laß in deine Strahlen mich die bleichen |
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Gedanken meines Grames flechten! |
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Wohl, |
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Du bist gewohnt, der Liebe sanfte Klagen, |
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Der Wonne Hauch als Opfer zu empfangen, |
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Und Glück, das in verschwiegner Nacht erblüht, |
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Vor dem verwandten Zauber deines Lichtes |
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Erschließt es seufzend seinen Kelch. Doch ich – |
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Mit der gemeinsten Sorge nah ich dir, |
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Und deine Freundschaft, dein Vertraun erfleh ich |
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In wacher Einsamkeit der stummen Nacht. |
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Ja, küsse dieses Weib! Sieh, wie erlöst |
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Ihr edles Haupt ins Kissen hingesunken! |
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Ist sie nicht schön? Die Arme ausgebreitet, |
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Die Lippen warm erschlossen – hingegeben |
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Der Wonne ganz, vom Tag erlöst zu sein. |
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Befreit von niedrer Sorge und nun ganz |
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Ein Engel! Ja, verweil’ mit deinem Lichte |
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Auf dieser Stirn, versenk’ ihr Träumen ganz |
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In deine Silberflut! Ein hoher Geist |
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Träumt hinter dieser Stirn von lichten Tagen. |
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Doch ihn erdrückt des Tages harte Last, |
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Und er erstickt im Staube. |
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„Nahrung — Brot!“ |
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In diesem Schrei stirbt unser Leben hin. |
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Vergebens hehl ich ihr die grasse Not: |
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Verstellung schmilzt so bald im Strahl der Liebe! |
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Im Strahl der Liebe? Will er nicht erblassen? |
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In Hungers Knechtschaft ringen sie und ich |
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Mit Arm und Geist, und atemlos geschäftig |
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Gehn wir am Tag einander stumm vorbei. |
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Kaum noch gekannt lebt einer mit dem andern, |
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Des Glücks nicht achtend ob der größern Not, |
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Durch Leid entfremdet nicht, allein durch Sorge. |
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„Fürs nackte Leben heisch ich eure Kraft,“ |
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So schreit uns Armut an, „und nicht fürs Lieben. |
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Was brauchen Bettler denn das Festgewand |
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Der Liebe, um ihr Leben dreinzuhüllen! |
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Das ist mein Fluch, das ist mein rastlos Mühn: |
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Die Seelen so mit Sorge zu umklammern, |
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Daß sie einander nie gehören können |
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Und müd und stumpf der Liebe sich entwöhnen!“ |
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Siehst du, o Mond, auf deiner weiten Bahn |
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Noch irgendwo im reichen Erdengarten |
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Aus dunkler Nacht so duft'ge Rosen blühn |
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Wie diese Kinder? Du umschmeichelst selbst |
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Der zarten Glieder weiche Lieblichkeit |
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Mit sanfter Welle. Sieh, ein Händchen hascht |
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Im Traum nach Früchten, die der Traum gereift! |
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Die Lippen lallen Worte eines Spiels – |
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Ein helles Lachen jetzt — und ganz im Schlaf, |
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Im festen, ruhigen, zufriednen Schlaf! |
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Sie atmen noch im Ganzen der Natur; |
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Ihr Leben Traum, und selbst ihr Traum noch Leben. |
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Ein Engel hütet sie: sie pflücken Blumen |
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Am Abgrund unsres Elends … |
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O verdammt |
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Sei diese ew’ge Qual und gift’ge Pein! |
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Willkommen, Schmerz! Zerreiße du mein Inn’res |
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Und laß mein Blut dahin in Strömen fließen, |
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So will ich sterben und die Erde segnen! |
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Laß mich auf deinem Schlachtfeld sterben, Erde; |
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Allein erstick mich nicht durch deinen Schlamm, |
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Durch deinen eklen Kot! Ist’s denn erlaubt – |
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Daß diesen wunderbaren Bau des Hirns |
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In tausend Windungen nur ein Gedanke |
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Durchkreist, daß eine einz’ge Mahnung nur |
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In diesem Herzen klopft und pocht und daß |
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Sich dieser Lebens reicher Quell erschöpft |
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Nur um das Eine: daß wir fressen können? |
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O Schmerz, ein Sohn des Himmels bist du sonst; |
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Erlosch'ne Geister schürst du wieder an |
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Zu hellen Bränden; aus verdorrten Herzen |
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Lockst du in heißen Wellen rotes Blut; |
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Die Stirn des schwachen Menschen schmückst du herrlich |
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Mit Götterglanz; den Weg durch Meer und Wüste |
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Führt ihn fortan des Trotzes Feuersäule. |
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Doch diese Sorg’ ums Brot – o pfui – sie ist |
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Ein widerwärtiges, gemeines Weib, |
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Das unverschämt im Haus die Herrin spielt, |
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Auf off'nem Markt sich in den Arm uns hängt, |
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Vor Edlen uns erröten macht, zugleich |
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Vor Schurken uns erniedrigt. Heilig ist |
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Kein Winkel ihr in unserm ganzen Innern; |
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Sie höhnt mit schutz’gem Lachen unsre Andacht |
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Und speit auf unsern Stolz. Ja selbst, wenn Krankheit, |
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Wenn Tod uns und Verrat zu Boden schlugen, |
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So hockt sie triumphierend an den Herd |
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Und sucht mit frechem Grinsen unsern Blick, |
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Wenn er ins Leere starrt … |
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Du schwindest, Mond; |
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O fliehe nicht; denn ich bin einsam, raunt |
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Der Tod aus meinen Kissen … Nein, ans Fenster! |
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Ich will dich sehen, bis du ganz versinkst. |
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Laß mich mit dir durchwandeln diese Nacht! |
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Laß durch den Nebel, der mein Haupt umwogt, |
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Die Ströme deines weißen Lichtes rinnen – |
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Vielleicht ertastet doch mein müder Geist |
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Nach aller Qual den Weg zur Morgensonne! – |
Details zum Gedicht „Sorge“
Otto Ernst
7
101
684
1907
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Sorge“ wurde von Otto Ernst verfasst, einem deutschen Autor, der von 1862 bis 1926 lebte. Daher kann man es in das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert einordnen.
Das Gedicht hinterlässt auf den ersten Blick einen düsteren Eindruck von geballter Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Das lyrische Ich spricht zu einem stillen, mondbeleuchteten Raum und drückt sein Leiden und die Tiefen seiner Verzweiflung aus.
Im Inhalt des Gedichts geht es um das Thema Armut und finanzielle Not, symbolisiert durch die „Sorge“, die das lyrische Ich quält. Es fühlt sich vom Glück und der Liebe entfremdet, seinen Alltag dominiert allein die Sorge um das nackte Überleben. Das lyrische Ich reflektiert über seine Situation, sein Kampf ums Überleben, und die Art und Weise, wie diese Sorgen seine Beziehung beeinflussen. Es spricht von seiner Frau und Kinder als Engel, die von dieser bitteren Armut unbewusst sind. Hinzu kommt der Wunsch des lyrischen Ichs nach Erlösung durch den Tod, die Hoffnung auf einen Weg zur „Morgensonne“.
In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts fällt auf, dass es in freien Versen geschrieben ist. Ernst verwendet starke, emotionale Worte und Metaphern, um das Ausmaß der Verzweiflung und Not zu untermalen. Die Sprache des Gedichts ist stark bildhaft und verwendet harte, kämpferische Begriffe. Es werden auch Fragen gestellt und direkte Anreden an den Mond verwendet, was dem Gedicht eine persönliche Note verleiht. Die intensive und bildliche Sprache macht das Gedicht emotional und ergreifend und zeichnet ein klares Bild von den Sorgen und Ängsten des lyrischen Ichs.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Sorge“ ist Otto Ernst. Ernst wurde im Jahr 1862 in Ottensen bei Hamburg geboren. 1907 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das Gedicht besteht aus 101 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 684 Worte. Otto Ernst ist auch der Autor für Gedichte wie „Allein im Dunkel“, „Alles ist ewig“ und „An einem leisen Bach“. Zum Autor des Gedichtes „Sorge“ haben wir auf abi-pur.de weitere 64 Gedichte veröffentlicht.
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