Aus einer Nacht von Otto Ernst

Und wieder müd', zerschlagen
Kam er am Abend heim,
Und wieder schwoll im Herzen
Ein alter, böser Keim:
 
Der Keim des Wahnsinns, den er
In stummer Seele trug –
Ob Wahnsinn noch mit Lachen
Einst seine Welt zerschlug?
 
Denn der Gemeinen Frechheit
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War stärker als sein Mut,
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Und kälter war die Roheit
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Als – ach, sein heißes Blut.
 
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Und schlauer war die Dummheit
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Als sein beschwingter Geist,
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Und stets an allem Ende
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Stand er allein – verwaist.
 
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Er fiel aufs harte Lager,
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Und war ihm recht zu Sinn,
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Als flöss' aus tiefer Wunde
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Sein Leben ganz dahin.
 
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„Laß rinnen und verrinnen!
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Ich stille nicht das Blut.
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Kein Hoffen, kein Verzweifeln:
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So ist mir's wohl und gut.“
 
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Doch wieder aus dem Dunkel
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Brach Hoffnung licht hervor –
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Doch wieder aus der Tiefe
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Verzweiflung fuhr empor –
 
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Er krampfte wild die Hände:
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Es möchte stille sein!
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Und weckte selbst sich immer
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Zu neuer, neuer Pein.
 
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Sein Knäblein schlief daneben,
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Das hat sich laut geregt
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Und hat im Traum das Händchen
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Ihm auf die Stirn gelegt.
 
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Das war ein Gruß vom Leben!
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Was klang so sanft und hell?
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Natur wollt' ihn erquicken
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Aus einem jungen Quell.
 
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Auf seine Augen drückt' er
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Das Händchen leis und weich,
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Da quollen schwere Tränen
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Und quollen warm und reich.
 
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Und sah die feinen Finger
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Mit mild bewegtem Sinn –
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Und sprach auf dieses Händchen
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Sein Leid still vor sich hin.
 
49 
Und als das Licht der Kerze
50 
Verschmachtet ging zur Ruh,
51 
Sah er dem letzten Scheine
52 
Mit stiller Hoffnung zu.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Aus einer Nacht“

Autor
Otto Ernst
Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
246
Entstehungsjahr
1907
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht 'Aus einer Nacht' wurde von dem deutschen Autor Otto Ernst geschrieben. Ernst lebte und arbeitete im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert (1862-1926), einer Zeit, die bekannt ist für große gesellschaftliche, politische und kulturelle Veränderungen.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von den Träumen und Frustrationen eines Mannes. Er scheint in einem inneren Kampf gefangen zu sein und kämpft offenbar mit Erschöpfung, Verzweiflung und der Qual seines alltäglichen Lebens. Die emotionale Reise des lyrischen Ichs führt es durch dunkle Phasen der Hoffnungslosigkeit und Lethargie, um schließlich in leisem Trost und Hoffnung zu enden.

Inhaltlich wird die Geschichte eines müden und erschöpften Mannes erzählt, der unter dem Druck einer feindlichen Umgebung leidet. Das lyrische Ich zeigt die Gefühle von Zerbrechlichkeit, Verzweiflung, aber auch Hoffnung auf. Anfangs erwähnt das Gedicht einen 'alten, bösen Keim', der als Metapher für die wiederkehrenden dunklen Gedanken oder vielleicht sogar den Wahnsinn interpretiert werden kann, dem das lyrische Ich unterworfen ist. Es scheint unter dem Einfluss äußerer Kräfte wie 'Gemeinheit', 'Roheit', und 'Dummheit' zu leiden und fühlt sich dabei isoliert und allein.

Dieses Gedicht ist in Versform geschrieben und besteht aus 13 vierzeiligen Strophen, bekannt als Quartette. Der einfache, aber eindringliche Reim und Rhythmus unterstreichen die emotionalen Zustände und bringen das Leid und die Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf Heilung und Besserung des lyrischen Ichs zum Ausdruck.

Die Sprache ist deutlich und direkter Natur und suggeriert intensive Emotionen. Negative und düstere Worte dominieren und schaffen ein starkes Bild von Todeswunsch und Verzweiflung. In den letzten Strophen gibt es jedoch eine Wendung, als das lyrische Ich einen physischen Kontakt mit seinem schlafenden Kind hat - ein „Gruß vom Leben“, der Hoffnung und Trost bringt. Der Autor nutzt das einfache Bild des Berührens einer kindlichen Hand, um einen dramatischen Stimmungswechsel herbeizuführen.

Im Gesamten kann das Gedicht 'Aus einer Nacht' als bewegende Erzählung eines Mannes gesehen werden, der mit dem Leben und seinen Herausforderungen zu kämpfen hat, aber in der einfachen Liebe und Unschuld eines Kindes Trost und Hoffnung findet.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Aus einer Nacht“ ist Otto Ernst. Ernst wurde im Jahr 1862 in Ottensen bei Hamburg geboren. 1907 ist das Gedicht entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 246 Worte. Weitere Werke des Dichters Otto Ernst sind „Allein im Dunkel“, „Alles ist ewig“ und „An einem leisen Bach“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Aus einer Nacht“ weitere 64 Gedichte vor.

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