Das infernalische Abendmahl von Georg Heym

1.
 
Ihr, denen ward das Blut vor Trauer bleich,
Ihr, die der Sturm der Qualen stets durchrast,
Ihr, deren Stirn der Lasten weites Reich,
Ihr, deren Auge Kummer schon verglast,
 
Ihr, denen auf der jungen Schläfe brennt
Wie Aussatz schon das große Totenmal,
Tretet heran, empfangt das Sakrament
Verfluchter Hostien in dem Haus der Qual.
 
10 
Besteigt die Brücke auf dem schwarzen Fluß,
11 
Darüber wallet der Verfluchten Schar.
12 
Und dunkel grüßt euch groß der Portikus,
13 
Durch den in Dämmrung glänzt der Hochaltar,
 
14 
Den tausend Kerzen schmücken, die von Blut
15 
Und Fett der Ungebornen sind gedreht.
16 
Wo Knochen hängen, und der rote Sud
17 
Teuflischen Weihrauchs euch entgegenweht.
 
18 
Wo Priester in der höllischen Soutane
19 
In Reihen knien, zu hellem Meßgeläut,
20 
Wo von den Kanzeln Fahne über Fahne
21 
Wie rote Höllenflamme euch bedräut.
 
22 
Ein nackter Abt bläht vor dem Götterbild
23 
Den feisten Bauch, da er die Messe singt.
24 
Er greift den Kelch, mit rotem Blut gefüllt,
25 
Den hoch er auf das Haupt der Menge schwingt.
 
26 
"Trinket mein Blut." Er trinkt den Becher leer,
27 
Der in sein Herz wie rote Lava quillt.
28 
Sein Gaumen leuchtet wie ein rotes Meer,
29 
Der von dem Glanz des Götterblutes schwillt.
 
30 
Auf euren Schläfen, wo der Horst der Qual,
31 
Die schwarze Bastion der Hölle droht,
32 
Springt eine Flamme auf, die spitz und schmal
33 
Wie der Skorpione schwarze Zunge loht.
 
34 
Nachtschwarze Wolken drängen in den Dom
35 
Voll Sturm und Blitzen durch das große Tor.
36 
Ein Wetter tost. Im schwarzen Regenstrom
37 
Versinkt der Orgel Ton im fernen Chor.
 
38 
Die Gräber springen auf. Der Toten Hand
39 
Streckt weiß und kalt die Knochenfinger aus.
40 
Sie winken euch aus ihrem dunklen Land.
41 
Und ihr Geschrei erfüllt das Riesenhaus.
 
42 
Die Fliesen brechen auf. Und Lethe braust
43 
Tief unten über einen Wasserfall.
44 
Der Abgrund schwindelt Meilen tief und saust
45 
Voll ungeheurer Stürme weitem Hall.
 
46 
Die Höllensöhne fahren ihn herab
47 
Mit schwarzem Takelwerk durch den Typhon.
48 
Sie schauen singend in das weite Grab
49 
Vom Totenkopfe ihrer Schiffs-Galion.
 
50 
2.
 
51 
Hoch wo das Dunkel seine Schatten türmt
52 
Durch Ewigkeiten fern vom Grund der Qual,
53 
Hoch oben, wo im Dom der Regen stürmt,
54 
Erscheint des Gottes Haupt, wie Morgen fahl.
 
55 
Die weiten Kirchen füllt der Sphären Traum
56 
Voll Schweigen, das wie leise Harfen klingt,
57 
Da, wie der Mond vom großen Himmelsraum,
58 
Des Gottes weißes Haupt heruntersinkt.
 
59 
Tretet heran. Sein Mund ist süß wie Frucht,
60 
Sein Blut ist, wie der Wein, langsam und schwer.
61 
Auf seiner Lippen dunkelroter Bucht
62 
Wiegt blaue Glut von fernem Sommermeer.
 
63 
Tretet heran. Wie Flaum von Faltern zart,
64 
Wie eines jungen Sternes goldne Nacht,
65 
Zittert sein Mund, in seinem goldnen Bart,
66 
Wie Chrysolith in einem tiefen Schacht.
 
67 
Tretet heran. Wie einer Schlange Haut
68 
So kühl ist er, weich wie ein Purpurkleid,
69 
Wie Abendrot so sanft, das übergraut
70 
Brennender Liebe wildes Herzeleid.
 
71 
Der Gram gefallner Engel ruht, ein Traum,
72 
Auf seiner Stirn, der Qualen weißem Thron,
73 
Wie Schläfer traurig, denen floh zum Saum
74 
Des blassen Morgens ihre Vision.
 
75 
Tiefer als tausend leere Himmel tief
76 
Ist seine Schwermut, wie die Hölle schön,
77 
Wo in den roten Abgrund sich verlief
78 
Ein bleicher Sonnenstrahl aus Mittagshöhn.
 
79 
Sein Leid ist wie ein Leuchter in der Nacht,
80 
Schauet die Flamme, die sein Haupt umloht,
81 
Und doppelhörnig in der düstren Pracht
82 
Aus seinem Lockenwald ins Dunkel droht.
 
83 
Sein Leid ist wie ein Teppich, drauf die Schrift
84 
Der Kabbalisten brennt durch Dunkelheit,
85 
Ein Eiland, dem 'vorbei' ein Segler schifft,
86 
Wenn in den Bergen fern das Einhorn schreit.
 
87 
Sein Leib trägt eines Schattenwaldes Duft,
88 
Wo großer Sümpfe Trauervögel ziehn,
89 
Ein König, der durch seiner Ahnen Gruft
90 
Nachdenklich geht in weißem Hermelin.
 
91 
Tretet heran, entflammt von seinem Gram.
92 
Trinkt seinen Atem, der so kühl wie Eis,
93 
Der über tausend Paradiese kam,
94 
Voll Duft, der jeden Kummer weiß.
 
95 
Er lächelt, seht. Und eurer Seele Bild
96 
Wird wie ein Weiher, der im Schilfe schweigt,
97 
Wo leis des Hirtengottes Flöte schwillt,
98 
Der durch die Lorbeerschlucht heruntersteigt.
 
99 
Schlaft ein. Die Nacht, die schwarz im Dome hängt,
100 
Verlöscht die Lampen an dem Hochaltar.
101 
Der große Adler seines Schweigens senkt
102 
Auf eure Stirn sein dunkles Schwingenpaar.
 
103 
Schlaft, schlaft. Des Gottes dunkler Mund, er streift
104 
Euch herbstlich kühl, wie kalter Gräber Wind,
105 
Darauf des falschen Kusses Blume reift,
106 
Wie Mehltau giftig, gelb wie Hyazinth.

Details zum Gedicht „Das infernalische Abendmahl“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
28
Anzahl Verse
106
Anzahl Wörter
687
Entstehungsjahr
1887 - 1912
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das infernalische Abendmahl“ des Autors Georg Heym. 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1903 bis 1912 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Heym ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 687 Wörter. Es baut sich aus 28 Strophen auf und besteht aus 106 Versen. Der Dichter Georg Heym ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Baum“, „Der Blinde“ und „Der Fliegende Holländer“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das infernalische Abendmahl“ weitere 77 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Georg Heym

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Georg Heym und seinem Gedicht „Das infernalische Abendmahl“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Georg Heym (Infos zum Autor)

Zum Autor Georg Heym sind auf abi-pur.de 77 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.