Bist Du nun tot? von Georg Heym

Bist Du nun tot? Da hebt die Brust sich noch,
Es war ein Schatten, der darüber fegt,
Der in der ungewissen Dämmrung kroch
Vom Vorhang, der im Nachtwind Falten schlägt.
 
Wie ist Dein Kehlkopf blau, draus ächzend fuhr
Dein leises Stöhnen von der Hände Druck.
Das ist der Würgemale tiefe Spur,
Du nimmst ins Grab sie nun als letzten Schmuck.
 
Die weißen Brüste schimmern hoch empor
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Indes Dein stummes Haupt nach hinten sank,
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Das aus dem Haar den Silberkamm verlor.
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Bist Du das, die ich einst so heiß umschlang?
 
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Bin ich denn der, der einst bei Dir geruht
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Vor Liebe toll und bittrer Leidenschaft,
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Der in Dich sank wie in ein Meer von Glut
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Und Deine Brüste trank wie Traubensaft?
 
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Bin ich denn der, der so voll Zorn gebrannt
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Wie einer Höllenfackel Göttlichkeit,
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Und Deine Kehle wie im Rausch umspannt,
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In Hasses ungeheurer Freudigkeit?
 
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Ist das nicht alles nur ein wüster Traum?
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Ich bin so ruhig und so fern der Gier.
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Die fernen Glocken zittern in dem Raum,
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Es ist so still wie in den Kirchen hier.
 
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Wie ist das alles fremd und sonderbar?
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Wo bist Du nun? Was gibst Du Antwort nicht?
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– Ihr nackter Leib ist kalt und eisesklar
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Im blassen Schein vom blauen Ampellicht. –
 
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Was ließ sie alles auch so stumm geschehn.
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Sie wird mir furchtbar, wenn so stumm sie liegt.
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O wäre nur ein Tropfen Bluts zu sehn.
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Was ist das, hat sie ihren Kopf gewiegt?
 
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Ich will hier fort. – Er stürzt aus dem Gemach.
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Der Nachtwind, der im Haar der Toten zischt,
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Löst leis es auf. Es weht dem Winde nach,
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Gleich schwarzer Flamme, die im Sturm verlischt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Bist Du nun tot?“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
272
Entstehungsjahr
1911
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Bist Du nun tot?“ wurde von dem deutschen expressionistischen Autor Georg Heym verfasst, der von 1887 bis 1912 lebte. Dadurch lässt sich das Werk in den literaturgeschichtlichen Kontext des frühen Expressionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts einordnen.

Beim ersten Lesen verstärkt der Titel eine düstere, melancholische Stimmung. Anknüpfungspunkte sind Tod, Leiden, Schmerz, Trauer, Verzweiflung und Entfremdung.

Der Inhalt des Gedichts lässt darauf schließen, dass das lyrische Ich eine geliebte Person, vermutlich eine Frau, verloren hat und sich nun mit tiefgreifender Trauer, Schrecken und vielleicht auch Schuldgefühlen auseinandersetzt. Es scheint, dass der Tod dieser Frau nicht natürlich eingetreten ist, Hinweise darauf sind „drückende Hände“ und „Würgemale“. Demnach steht das Gedicht wohl auch im Kontext häuslicher Gewalt oder sogar Mordes. Das lyrische Ich durchläuft dabei verschiedene Emotionen, von Trauer über Schrecken bis hin zu Verzweiflung und Ausweglosigkeit.

Formal ist das Gedicht in neun vierzeilige Strophen eingeteilt. Jede dieser Strophen behandelt dabei verschiedene Aspekte des Todes der Frau oder die persönliche Verarbeitung des lyrischen Ichs dieser Erfahrung. Das Werk zeichnet sich laut Heyms typischem expressionistischen Stil durch eine dunkle und schwermütige Sprache aus, voller Metaphern und Symbolbilder, die eine beklemmende Atmosphäre schaffen.

In der Sprache liegt eine gewisse Direktheit, eine Frontalität, die die Lesenden unmittelbar und ohne Umwege in das Leiden des lyrischen Ichs hineinzieht. Heym setzt viele emotionale und sinnliche Worte ein und schafft durch die Verwendung von Metaphern ein bildhaftes und intensives Gefühl der Trauer und des Leidens. Der auffallende Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen der belebten Vergangenheit und der toten Gegenwart, verdeutlichen die Zerrissenheit und das Unfassbare des Todes.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Georg Heyms Gedicht „Bist Du nun tot?“ einen fesselnden und düsteren Einblick in die menschliche Trauer und Verzweiflung in der Auseinandersetzung mit dem Tod gibt. Es ist ein Beispiel für die eindrucksvolle, wenn auch bedrückende Kraft expressionistischer Dichtung.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Bist Du nun tot?“ ist Georg Heym. Der Autor Georg Heym wurde 1887 in Hirschberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1911 zurück. Erschienen ist der Text in Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 272 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Georg Heym sind „Das Fieberspital“, „Der Abend“ und „Der Baum“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Bist Du nun tot?“ weitere 79 Gedichte vor.

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