Der Baum von Georg Heym

Am Wassergraben, im Wiesenland
Steht ein Eichbaum, alt und zerrissen,
Vom Blitze hohl, und vom Sturm zerbissen.
Nesseln und Dorn umstehn ihn in schwarzer Wand.
 
Ein Wetter zieht sich gen Abend zusammen.
In die Schwüle ragt er hinauf, blau, vom Wind nicht gerührt.
Von der leeren Blitze Gekränz umschnürt,
Die lautlos über den Himmel flammen.
 
Ihn umflattert der Schwalben niedriger Schwarm.
10 
Und die Fledermäuse huschenden Flugs,
11 
Um den kahlen Ast, der zuhöchst entwuchs
12 
Blitzverbrannt seinem Haupt, eines Galgens Arm.
 
13 
Woran denkst Du, Baum, in der Wetterstunde
14 
Am Rande der Nacht? An der Schnitter Gered’,
15 
In der Mittagsrast, wenn der Krug umgeht,
16 
Und die Sensen im Grase ruhn in der Runde?
 
17 
Oder denkst Du daran, wie in alter Zeit
18 
Einen Mann sie in Deine Krone gehenkt,
19 
Wie, den Strick um den Hals, er die Beine verrenkt,
20 
Und die Zunge blau hing aus dem Maule breit?
 
21 
Wie er da Jahre hing, und den Winter trug,
22 
In dem eisigen Winde tanzte zum Spaß,
23 
Und wie ein Glockenklöppel, den Rost zerfraß,
24 
An den zinnernen Himmel schlug.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Der Baum“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
172
Entstehungsjahr
1911
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Vorliegendes Gedicht, betitelt „Der Baum“, wurde von Georg Heym verfasst, einem der bekanntesten Vertreter des literarischen Expressionismus. Heym wurde 1887 geboren und starb bereits 1912, also in einer Zeit, die durch gesellschaftliche Umbrüche, Nervosität und Weltschmerz geprägt war - Merkmale, die sich auch in seinem dichterischen Schaffen widerspiegeln.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht düster und dramatisch, und die Themen Natur und Tod scheinen zentral zu sein. Inhaltlich setzt sich das Gedicht mit einem alternden, von Blitz und Sturm geschädigten Baum auseinander, der einen einsamen, fast gruseligen Eindruck inmitten einer Wiese erweckt. In den weiteren Strophen wird deutlich, dass dieser Baum in der Vergangenheit grausam genutzt wurde, indem Personen daran gehängt wurden. Der Baum wird somit zum Zeugen dunkler, menschlicher Schicksale und trägt somit ein schweres Erbe in sich.

Das lyrische Ich beschreibt diesen Baum mit sehr starken, emotional beladenen und zum Teil dramatischen Worten. Dadurch wird nicht nur die physische Präsenz des Baums betont, sondern auch seine symbolische Bedeutung. Die wiederkehrende Beschreibung von Blitz und Sturm könnte als Metapher für eine bedrohliche äußere Welt stehen, in der der Baum zeigt, wie er trotz allem standhaft bleibt.

In Sachen Form fällt auf, dass Heym für das Gedicht die klassische Form des Sonetts gewählt hat, allerdings in einer Variation mit sechs Vierzeilen-Strophen im sogenannten Kreuzreim. Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch einen eher schweren, pathetischen Ton aus, der gut zur Thematik des Todes und des Leidens passt. Des weiteren werden viele Kontraste und Gegensätze verwendet, um Spannung zu erzeugen. Insgesamt ist die Sprache sehr bildgewaltig und lässt klare, fast schon filmreife Szenen vor dem inneren Auge entstehen.

Die Interpretation von Georg Heyms „Der Baum“ lässt ein dichterisches Werk erkennen, das sowohl sprachlich als auch inhaltlich mit starken Ausdrücken und Bildern arbeitet, um Verfall, Tod und Einsamkeit darzustellen. Es spiegelt den typischen melancholischen und pessimistischen Blick der expressionistischen Dichtung wider und verdeutlicht die emotionale Spannung und den gesellschaftlichen Umbruch in der Zeit um die Jahrhundertwende.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Baum“ ist Georg Heym. Heym wurde im Jahr 1887 in Hirschberg geboren. Im Jahr 1911 ist das Gedicht entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Expressionismus zu. Der Schriftsteller Heym ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 172 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Georg Heym sind „Der Fliegende Holländer“, „Der Gott der Stadt“ und „Der Hunger“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Baum“ weitere 79 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Georg Heym

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Georg Heym und seinem Gedicht „Der Baum“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Georg Heym (Infos zum Autor)

Zum Autor Georg Heym sind auf abi-pur.de 79 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.