Ein Ewiger von Richard Dehmel

Ich lag in einem dunklen Taxushain
und hatte Furcht . . .
Im Schatten vor mir saß ein Mann,
der war wie eine große
nebelvolle Höhle,
in der ein riesenhafter Dachs der Urzeit
neue Welten träumte;
nur ab und zu
schob er seine schweren Wühlerhände
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durch das Gitter,
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und mit grauen,
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grausam traurigen Augen
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griff er sich ein Menschenhirn zum Fraß.
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Und über ihn, im Hintergrund der Höhle,
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mit unendlich weichem,
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kleinem stolzen Munde,
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in einen grünen Sack gewickelt,
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lag eine schöne geistesirre Frau gekauert,
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die weinte über den traurigen Dachs . . .
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Da hob der Mann
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die starre Gottesstirne zu mir her,
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darüber ihm die Haare
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seidenfein und blond
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in langen wirren Wellen lagen,
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als ob er eben aufgehört zu fliegen;
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und seine scheuen Frauenlippen zuckten
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Ich aber sah hinauf,
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wo durch den dunklen Taxuswald
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der kalte blaue Himmel straalte,
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klar, weit, hoch,
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und sah die Sonne um das Höhlengitter blitzen,
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und eine Freude wie im Winter
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verbrannte meine Furcht zu Funken,
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die sprühten einen Namen in das Dunkel,
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riesenhaft:
36 
STRINDBERG . . .
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Ein Ewiger“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
167
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ein Ewiger“ ist von dem deutschen Expressionisten Richard Dehmel, welcher von 1863 bis 1920 lebte. Es wurde also wahrscheinlich am Ende des 19. oder am Anfang des 20. Jahrhunderts verfasst.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht düster und mystisch, teilweise bedrohlich. Es lässt viel Raum für Interpretation und regt zum Nachdenken an.

Im Inhalt geht es um das lyrische Ich, das in einem dunklen Taxushain liegt und Furcht empfindet. Vor ihm sitzt ein mannsgroßer Dachs, der neue Welten träumt. Mysteriös ist der wiederkehrende Aspekt des Geistes mit seinen „grauen, grausam traurigen Augen“, der Menschengehirne frisst und eine geisteskranke Frau, die über den Dachs weint. Schließlich ändert sich mit dem Anblick des blauen Himmels durch den Wald die Furcht in Freude und das lyrische Ich sprüht den Namen „Strindberg“ in die Dunkelheit.

Das lyrische Ich scheint mit diesem Gedicht eine geheimnisvolle, möglicherweise gefährliche Begegnung darzustellen. Die Anspielung auf August Strindberg, einem schwedischen Dramatiker und Schriftsteller, deutet darauf hin, dass Dehmel ihm Tribut zollen wollte als „ein ewiges“ und monumentales Talent in der Literatur.

Das Gedicht reiht viele Metaphern aneinander und arbeitet mit starker, farbenprächtiger und mystischer Imagery. Der wechselnde Rhythmus im Gedicht, die abrupten Themen- und Gefühlswechsel und das Versmaß geben dem Gedicht eine besondere Dynamik und einen eigenwilligen Charakter.

Die Sprache von Dehmel ist geprägt von detaillierten Beschreibungen und anspruchsvollen Metaphern. Die Figur des großen Dachs und sein Verhalten erzeugen eine unheimliche, bedrohliche Atmosphäre. Die manchmal kryptischen Anspielungen und der häufige Gebrauch von Adjektiven intensivieren das mysteriöse Ambiente des Gedichts.

Insgesamt lässt „Ein ewiger“ viel Raum für Interpretationen und ist ein faszinierendes Beispiel für Dehmels expressionistisches Schaffen. Es verbindet das Dunkle mit einem unerwarteten Ausbruch von Freude, das Irdische mit dem Göttlichen und das Schöne mit dem Grausamen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Ein Ewiger“ ist Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. München ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 167 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Richard Dehmel sind „Bann“, „Bastard“ und „Bitte“. Zum Autor des Gedichtes „Ein Ewiger“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

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