Die Weihe von Heinrich Heine

Einsam in der Waldkapelle,
Vor dem Bild der Himmelsjungfrau,
Lag ein frommer, bleicher Knabe
Demuthsvoll dahingesunken.
 
O Madonna! laß mich ewig
Hier auf dieser Schwelle knien,
Wollest nimmer mich verstoßen
In die Welt so kalt und sündig.
 
O Madonna! sonnig wallen
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Deines Hauptes Stralenlocken;
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Süßes Lächeln mild umspielet
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Deines Mundes heil’ge Rosen.
 
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O Madonna! deine Augen
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Leuchten mir wie Sternenlichter;
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Lebensschifflein treibet irre,
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Sternlein leiten ewig sicher.
 
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O Madonna! sonder Wanken
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Trug ich deine Schmerzenprüfung,
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Frommer Minne blind vertrauend,
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Nur in deinen Gluten glühend.
 
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O Madonna! hör mich heute,
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Gnadenvolle, Wunderreiche,
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Spende mir ein Huldeszeichen,
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Nur ein leises Huldeszeichen.
 
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Da thät sich ein schauerlich Wunder bekunden,
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Wald und Kapell sind auf einmahl verschwunden;
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Knabe nicht wußte wie ihm geschehn,
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Hat Alles auf einmahl umwandelt gesehn.
 
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Und staunend stand er im schmucken Saale,
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Da saß Madonna, doch ohne Stralen;
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Sie hat sich verwandelt in liebliche Maid,
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Und grüßet und lächelt mit kindlicher Freud’.
 
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Und sieh! vom blonden Lockenhaupte
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Sie selber sich eine Locke raubte,
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Und sprach zum Knaben mit himmlischem Ton:
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Nimm hin deinen besten Erdenlohn!
 
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Sprich nun, wer bezeugt die Weihe?
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Sahst du nicht die Farben wogen
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Flammig an der Himmelsbläue?
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Menschen nennen’s Regenbogen.
 
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Englein steigen auf und nieder,
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Schlagen rauschend mit den Schwingen,
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Flüstern wundersame Lieder,
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Süßer Harmonien Klingen.
 
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Knabe hat es wohl verstanden,
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Was mit Sehnsuchtglut ihn ziehet
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Fort und fort nach jenen Landen,
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Wo die Myrte ewig blühet.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Die Weihe“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
233
Entstehungsjahr
1822
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Weihe“ stammt von Heinrich Heine, einem der bedeutendsten deutschen Dichter der Romantik, geboren am 13. Dezember 1797 und gestorben am 17. Februar 1856. Es ist davon auszugehen, dass dieses Gedicht Teil seines breiteren Werkes ist, das zwischen der späten Aufklärung und der Romantik entstanden ist, wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Auf den ersten Blick zeichnet das Gedicht ein Bild von tiefer Religiosität, Demut und Hingabe. Ein frommer, blässlicher Knabe betet in einer Waldkapelle vor einem Bild der Himmelsjungfrau, der Madonna und fleht dabei, dass er immer hier verweilen und nicht in die kalte und sündige Welt verstoßen werden möchte. Die Madonna wird in lyrischen und bildhaften Beschreibungen verherrlicht und der Knabe bittet sie um ein Zeichen ihrer Gnade.

Insoweit lässt das lyrische Ich, repräsentiert durch den Knaben, durchblicken, dass es nach Reinheit, Spiritualität und göttlichem Beistand in einer als ungastlich empfundenen Welt sucht. Es wird eine tiefe Sehnsucht nach Schutz und Führung, nach dem Licht und der Wärme, die die Madonna symbolisiert, ausgedrückt.

Formal besteht das Gedicht aus 12 vierzeiligen Strophen, was einen einfachen und klaren Rhythmus erzeugt. Es bedient sich einer ansprechenden und bildreichen Sprache, die das Lesen angenehm macht und die Emotionen des lyrischen Ichs lebendig werden lässt. Es ist ein deutlicher Bezug zur christlichen Religion und Spiritualität zu erkennen, und das Gedicht ist durchdrungen von Symbolen und Bildern religiöser Natur.

Bei genauerer Betrachtung der Sprache fällt auf, dass das Gedicht klassische romantische Motive wie das Gefühl tiefer Sehnsucht, die Liebe zur Natur und eine intensive Auseinandersetzung mit Spiritualität und Religion aufweist. Insbesondere die Madonna wird in einer sehr idealisierten und verklärten Weise dargestellt, was typisch für die romantische Kunst dieser Epoche ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Die Weihe“ ein typisches romantischen Gedicht von Heinrich Heine ist, das sein religiöses Engagement und seine Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung sehr deutlich in Form und Sprache zum Ausdruck bringt. Es stellt eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Individualität und Spiritualität dar und bietet eine tiefe Einsicht in die Seelenlandschaft des lyrischen Ichs.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Weihe“ des Autors Heinrich Heine. Heine wurde im Jahr 1797 in Düsseldorf geboren. 1822 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 233 Worte. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“, „Ahnung“ und „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“. Zum Autor des Gedichtes „Die Weihe“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.

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